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VERANSTALTUNGEN
Naturgewalten schützen muss. Die Sprache des Rechts (Paul Kirchhof) muss diese
Strukturen von vorgefundenem und entschiedenem Recht, von Unabstimmbarem
und Abstimmbarem aufdecken, in dem allgemeinen Gesetz möglichst jedermann
ansprechen, in der Offenheit des Rechts für die Wirklichkeit die Realität des Men-
schen, seiner Bedürfnisse und Lebensumstände aufnehmen, dann aber den Ablauf
von Recht setzten und Recht anwenden als einen Sprechvorgang entfalten begin-
nend beim Parlament bis zur Recht-Sprechung .
Die Sprachlosigkeit der Sozialwissenschaften (Peter Graf Kielmansegg) handelt
von einer höchst beredten Wissenschaft, die — „sprechend sprachlos“ — erneut die
Eigenheit der jeweiligen Fachdisziplin bewusst macht. Sie pflegt eine eigene Spra-
che, um mehr zu sagen, als jedermann über die für ihn täglich erfahrbare soziale
Wirklichkeit sagen könnte (Verfremdungseffekt), um in einer Teilmathematisierung
gleichsam eine „Physik der Gesellschaft“ zu entwickeln (Formalisierung), nicht sel-
ten auch, um ihren Gegenstand zu einem vollkommen autarken System zu machen,
sich ihre Welt, beschreibend und erklärend, selbst zu errichten (Wissenschaftsautis-
mus). Die Forderung nach einem gelassenen Selbstbewusstsein dieser Wissenschaft
klingt zusammen mit der Erwartung nach einer der Öffentlichkeit zugewanden,
nicht esoterischen Sprache.
Die Sprache der Biologie (Hans Mohr) spiegelt ebenfalls die eigenen Ziele,
Methoden und Inhalte ihres modernen Wissens, muss aber den Jedermann einbezie-
hen, weil die Erkenntnisse über das Leben, die Gene, das Bewusstsein, den freien Wil-
len, die verschiedenen Energien jeden Bürger betreffen, ihn deshalb zum Mitreden
veranlassen. Doch die Verstehenshorizonte dieser Partner eines notwendigen
Gesprächs liegen weit auseinander. Deshalb brauchen wir eine Kultur des Sprechens
und Zuhörens, vielleicht in jeder Regierung einen Wissenschaftsberater, der Sach-
wissen in die politische Entscheidung einfließen lässt.
Auch die Sprache der Physik (Joseph Honerkamp) ist Expertensprache, die
Jedermann unmittelbar betrifft. Wenn die Physik die Kometen, Finsternisse, Sonne
und Mond, Blitz und Donner, Atome und deren Bausteine, Bewegung und Wärme
erklärt, will und soll der Jedermann dieses verstehen. Doch die Physik gewinnt in der
mathematischen Sprache ihre Exaktheit, vertraut auf die Macht mathematisch for-
mulierter Gesetze, entzieht sich in den so formulierten Hypothesen und Experi-
menten der Mehrdeutigkeit von Worten, den unterschiedlichen Vorverständnissen,
erschließt sich durch die mathematische Sprache Vermutungen und Einsichten in die
Natur, die der Alltagssprache so nicht möglich wären.
Ein schwieriger Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft muss immer
wieder neu beginnen. Jeder Anfang enthält die Chance, auch schwieriges und
unwegsames Gelände zu erschließen. Jede Kultur, so sagt man, beginnt mit Rodung.
PAUL KIRCHHOF
VERANSTALTUNGEN
Naturgewalten schützen muss. Die Sprache des Rechts (Paul Kirchhof) muss diese
Strukturen von vorgefundenem und entschiedenem Recht, von Unabstimmbarem
und Abstimmbarem aufdecken, in dem allgemeinen Gesetz möglichst jedermann
ansprechen, in der Offenheit des Rechts für die Wirklichkeit die Realität des Men-
schen, seiner Bedürfnisse und Lebensumstände aufnehmen, dann aber den Ablauf
von Recht setzten und Recht anwenden als einen Sprechvorgang entfalten begin-
nend beim Parlament bis zur Recht-Sprechung .
Die Sprachlosigkeit der Sozialwissenschaften (Peter Graf Kielmansegg) handelt
von einer höchst beredten Wissenschaft, die — „sprechend sprachlos“ — erneut die
Eigenheit der jeweiligen Fachdisziplin bewusst macht. Sie pflegt eine eigene Spra-
che, um mehr zu sagen, als jedermann über die für ihn täglich erfahrbare soziale
Wirklichkeit sagen könnte (Verfremdungseffekt), um in einer Teilmathematisierung
gleichsam eine „Physik der Gesellschaft“ zu entwickeln (Formalisierung), nicht sel-
ten auch, um ihren Gegenstand zu einem vollkommen autarken System zu machen,
sich ihre Welt, beschreibend und erklärend, selbst zu errichten (Wissenschaftsautis-
mus). Die Forderung nach einem gelassenen Selbstbewusstsein dieser Wissenschaft
klingt zusammen mit der Erwartung nach einer der Öffentlichkeit zugewanden,
nicht esoterischen Sprache.
Die Sprache der Biologie (Hans Mohr) spiegelt ebenfalls die eigenen Ziele,
Methoden und Inhalte ihres modernen Wissens, muss aber den Jedermann einbezie-
hen, weil die Erkenntnisse über das Leben, die Gene, das Bewusstsein, den freien Wil-
len, die verschiedenen Energien jeden Bürger betreffen, ihn deshalb zum Mitreden
veranlassen. Doch die Verstehenshorizonte dieser Partner eines notwendigen
Gesprächs liegen weit auseinander. Deshalb brauchen wir eine Kultur des Sprechens
und Zuhörens, vielleicht in jeder Regierung einen Wissenschaftsberater, der Sach-
wissen in die politische Entscheidung einfließen lässt.
Auch die Sprache der Physik (Joseph Honerkamp) ist Expertensprache, die
Jedermann unmittelbar betrifft. Wenn die Physik die Kometen, Finsternisse, Sonne
und Mond, Blitz und Donner, Atome und deren Bausteine, Bewegung und Wärme
erklärt, will und soll der Jedermann dieses verstehen. Doch die Physik gewinnt in der
mathematischen Sprache ihre Exaktheit, vertraut auf die Macht mathematisch for-
mulierter Gesetze, entzieht sich in den so formulierten Hypothesen und Experi-
menten der Mehrdeutigkeit von Worten, den unterschiedlichen Vorverständnissen,
erschließt sich durch die mathematische Sprache Vermutungen und Einsichten in die
Natur, die der Alltagssprache so nicht möglich wären.
Ein schwieriger Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft muss immer
wieder neu beginnen. Jeder Anfang enthält die Chance, auch schwieriges und
unwegsames Gelände zu erschließen. Jede Kultur, so sagt man, beginnt mit Rodung.
PAUL KIRCHHOF