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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

DOI Kapitel:
IV. Veranstaltungen im Jubiläumsjahr
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Maissen, Thomas: Symposium "Natürliche Zeit - kulturelle Zeit?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0398
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414

VERANSTALTUNGEN

SYMPOSIUM
„Natürliche Zeit — kulturelle Zeit?“
13. und 14. November 2009
Indisziplinäres Symposium der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zum
hundertjährigen Jubiläum
Zeit ist ein allgegenwärtiges Thema und eine knappe Ressource — gerade für
Akademiker, die ihre Zeit mit der Klage darüber verbringen, zuwenig davon zu
haben. Wenn die Kommission der HAW, welche die Veranstaltungen zum 100.
Jubiläum vorbereitete, gerade „Zeit“ als Thema für ein Symposium auswählte, das die
beiden Klassen und viele Disziplinen zusammenbringen sollte, war dies also ein
naheliegendes und gut gewähltes Thema. „Zeit“ ist für sehr viele Fächer eine wich-
tige Kategorie, wird aber auch ganz unterschiedlich behandelt und benutzt. Eine
Grundüberlegung des Symposiums bestand darin, solche Vorstellungen nicht nur
zusammenzubringen, sondern auch zu konfrontieren, wie es der Titel „Natürliche
Zeiten — kulturelle Zeiten?“ ausdrückte. Gibt es überhaupt Zeit als Naturphänomen,
oder ist sie bloß eine kulturelle Kategorie? Dauer und zyklische Regelmäßigkeit der
Natur werden erst durch denjenigen zu Zeit, der sie von außen beobachtet und Ein-
schnitte (ahd. „Zit“, das Abgeteilte) vornimmt — also durch den Menschen; oder
durch denjenigen, der sie schafft, wie der Allmächtige in Augustins berühmtem elften
Kapitel der Confessiones.
Zeitempfinden und Zeitmessen sind demnach menschlich geprägt und werden
sozial vermittelt; zugleich sind sie aber nicht willkürlich, sondern durch die Natur
etwa des Sonnenjahres konditioniert. Dem menschlichen, kulturellen Umgang mit
diesen natürlichen Strukturen galten die ersten Vorträge der Tagung. Dabei zeigte
sich schon bald, dass das, was für heutige Europäer gleichsam naturgegeben zu sein
scheint, etwa die Dreiteilung Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, dies gar nicht
zwingend sein muss. Am Beispiel des alten Ägypten erläuterte Jan Assmann (Heidel-
berg/Konstanz) ein bipolares Modell: Auf der einen Seite dient Nechet zur Bezeich-
nung des zyklischen Verlaufs der Gestirne und des Werdens, der Vegetation, der
Kalender und wiederkehrender Ereignisse wie der Nilüberschwemmungen; auf der
anderen Seite wird Djet für das Vollendete verwendet, das unbeweglich fortdauert.
Ebenfalls nicht selbstverständlich ist die moderne Annahme, dass die Vergangenheit
hinter und die Zukunft vor uns liegt. Im Alten Orient, so Stefan Maul (Heidelberg),
brachte man mit „Pana“ die Vorderseite und das Vergangene zusammen, mit „Warka“
die Rückseite und die Zukunft. Beschrieb man damit die eigene Welt- und Zeiter-
fahrung, so ging man gleichsam rückwärts in die Zukunft. Auch Bernd Janowski
(Tübingen) stellte ein „Doppelgesicht der Zeit“ vor, nämlich das alttestamentliche
am Beispiel von Kohelet 1, 3—11 und Deuteronomium 26, 1—11. Die Menschen des
alten Israel verfügten über eine doppelte Zeiterfahrung, weil sie sowohl in der auf
Unumkehrbarkeit (im kulturellen Gedächtnis kanonisierte Linearität) als auch in der
aufWiederholung (in Ritualen erfahrene Zyklizität) ausgerichteten Zeit lebten.
 
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