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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 16. Juli 2011
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Grunwald, Reinhard: Lebendiger Geist:Wie geht es?
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0081
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SITZUNGEN

dem Sinne, in dem 1904/05 Max Weber vom Geist des Kapitalismus (vgl. Die pro-
testantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, München, C. H. Beck, 2010),
spricht, oder Ferdinand Tönnies 1935 vom Geist der Neuzeit (Gesamtausgabe Bd.
22, 1932-1936, de Gruyter, Berlin/New York 1998). Mit Gisbert zu Putlitz wird
zweitens eine Verkörperung des lebendigen Geistes befragt und dem nachgegangen, was
ihn zu einem prägenden Akteur der vorausgehend beschriebenen Ausformung des
lebendigen Geistes gemacht hat und macht.
Damit kann ich nun das eben dunkel gebliebene „es“ anleuchten: Gemeint
sind die Wahrung, Sicherung und das behutsame Fortgestalten dieser Grundsätze,
Ziele und Überzeugungen der Wissenschaftlergemeinschaft, kurz, das „Ermöglichen
und Machen von Wissenschaft“, vom Setzen von Rahmenbedingungen bis hin zum
Wissenschaftsmanagement.
Lebendiger Geist ist eine Prägung des deutschen Literaturwissenschaftlers und
Dichters Friedrich Gundolf (1880-1931), der seit 1916 an der Universität Heidel-
berg lehrte. Die Widmung „Dem lebendigen Geist“ wacht mit Pallas Athene über
dem Eingang der Neuen Universität. Das Geleitwort steht neben dem Gründungs-
motto „semper apertus“ im Zentrum der 625-Jahrfeier der Universität Heidelberg
Ruperto Carola.
Wer versucht, etwa klassische Vorläufer des lebendigen Geistes aufzuspüren, wird
unter Spiritus vivus ebenso wenig fündig wie unter mens viva, animus vivus oder
anima viva. Er wird im Internet unter wiktionary lernen, dass der Artikel Spiritus
sanctus noch geschrieben werden müsste, dafür ist dort der Spiritus rector schon
beschrieben. Liegt das Fehlen des Adjektivs vivus daran, dass bereits die römische
anima den lebendigen Lufthauch, die Luft als Element meint, animus die geflügelte
Seele bzw. den Geist gegenüber dem erdgebundenen Körper? Dass Spiritus von
spirare abgeleitet ist, dem Atmen, äußerem Zeichen des Lebens selbst? Das Ende des
Lebens wurde lange nicht durch Pulsfühlen allein oder gar Messung des Gehirn-
stromes definiert. Sobald der vor den Mund gehaltene Spiegel nicht mehr beschlug,
war das Leben aus dem Menschen gewichen, ausgehaucht, hatten Atem, Spiritus,
animus und anima den dadurch leblosen Körper verlassen.
Denn das Leben ist die Liebe
Und des Lebens Leben Geist.
(J.W Goethe, West-östlicher Divan, Buch Suleika, Suleika)
So hat Goethe Leben, Liebe und Geist in Beziehung gesetzt - als Dreisatz führt dies
zu der Erkenntnis, dass der Liebe Leben Geist ist - genauso aber, dass des Lebens
Liebe Geist ist.

Im Folgenden werde ich Ihnen in fünf Kapiteln, grob zeitlich gestaffelt, über Befind-
lichkeit und Handeln des lebendigen Geistes im Wechselspiel zwischen Wissen-
schaftssystem und Gisbert zu Putlitz nach dem Zweiten Weltkrieg berichten:
 
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