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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2011 — 2012

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I. Das Geschäftsjahr 2011
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 16. Juli 2011
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Grunwald, Reinhard: Lebendiger Geist:Wie geht es?
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https://doi.org/10.11588/diglit.55657#0084
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16.Juli 2011

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Wittenberge trägt auch dieser Ort die Gans im Wappen - erhielt er gemeinsam mit
einem anderen Knaben Privatunterricht. Dieser andere höchst lebendige Geist war
vor allem musisch hochbegabt, sein Name: Armin Müller-Stahl. Die beiden fanden
sich nach dem Kriege eher zufällig wieder, der Kontakt ist seit diesem Treffen auf
dem Hamburger Flughafen und dem zweistündigen Gespräch am Rande des
Gepäckrollbandes nicht mehr abgerissen.
Gisbert zu Putlitz half seiner Mutter nach der Flucht, im Thüringer Wald auf
Schloss Elgersburg über dem gleichnamigen Erholungsort, das einer von seinem Onkel
mütterlicherseits gegründeten Stiftung gehörte, ein Erholungsheim zu betreiben.
Landwirtschaftlicher Gehilfe auf einem Bauernhof, damals hieß das Knecht, in Sach-
sen, Mitglied einer Holzfällerkolonne, Schüler in Ilmenau: Der junge Mann wuchs schnell
und zupackend heran. Er lernte, mit einem Zweispänner eine gerade Furche zu pflü-
gen ebenso wie die Teamarbeit beim Holzfällen und Holzrücken. Die Lizenz zum
Schnapsbrennen, die mit dem Betrieb der Schlossschänke verbunden war, erlaubte
die Produktion von 50 1 Schnaps monatlich. Ausgeschenkt wurde etwa ein Liter in
diesem Zeitraum, so dass unser unternehmerischer Grenzgänger die 49 restlichen
Liter mit hohem Gewinn über die grüne Grenze auf abenteuerlichen und gefährli-
chen Pfaden von der sowjetischen in die britische Besatzungszone schmuggelte. Göt-
tingen war meistens das Ziel dieser Verkaufsreisen. So lernte das Mekka der Physik der
Zwanziger unseren Protagonisten schon früh als Überbringer von Geistigem kennen,
allerdings hier noch in Form geistiger Getränke.
Werner Heisenberg war nach dem Kriege nach Göttingen zurückgekehrt. Die
deutschen Wissenschaftler versuchten, wo immer möglich, an die erfolgreiche Zeit
vor 1933 anzuknüpfen. Dies gelang nur unter großen Mühen und Einschränkungen:
Die personelle Basis war schmal, Gebäude und Geräte in großenteils erbärmlichem
Zustand, Geld nicht vorhanden.
Die Universitäten wurden genau wie alle anderen öffentlichen Einrichtungen
entnazifiziert. Für die Universität Heidelberg bedeutete das zum Beispiel das Aus-
scheiden von mehr als sechzig Prozent der Ordinarien, ihre Anzahl sank nach
Kriegsende zunächst von über 50 auf unter 20. Der Vorlesungsbetrieb begann in den
verschiedenen Besatzungszonen und Universitäten wieder ab Herbst 1945, in Hei-
delberg im November 1945 (Medizin und Theologie), für die Gesamtuniversität im
Januar 1946. Die Studentenzahlen hatten sich hier von etwa 4000 im Jahre 1932 auf
knapp 2000 1946 halbiert Es gab erhebliche Auseinandersetzungen innerhalb der
Professorenschaft und mit den Kontrollgremien.
Wichtige Einrichtungen - heute würde man wohl sagen: systemwichtige Insti-
tute - überlebten eher zufällig: Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sollte nach dem
Willen der amerikanischen Besatzungsmacht liquidiert werden: General Lucius Clay
war der Meinung, dass die KWG als NS-nahe Organisation, die den künftigen Frie-
den gefährde, aufgelöst werden müsse (Geschichte der MPG, mpg.de/178581/Max-
Planck-Gesellschaft). Sie überlebte mit kluger Unterstützung der Briten, insbeson-
dere des britischen Besatzungsoffiziers Bertie Blount, und des früheren Präsidenten
der Royal Society Sir Henry Hallett Dale (Wikipedia, Kaiser Wilhelm Society, After
World War II, p. 2). Beide hatten in Deutschland studiert. Auf sie geht die Namens-
 
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