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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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I. Das Geschäftsjahr 2012
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Lachmann, Renate: Aleksandr Puškin Eugen Onegin und dessen Nachgeschichte im Werk Vladimir Nabokovs: Festrede
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0044
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12. Mai 2012

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literale, bis ins phonisch-alludierende Detail unerbittlich präzise 1 zu 1 Übersetzung
vor, die als unlesbar, „unreadable“, gilt, wie der Kritiker Edmund Wilson kompro-
misslos mitteilt.18 (Nochmals zurück zum Textbeispiel 10)
Die englische Reproduktion der Onegin-Strophe, bzw. die angestrebte Kopie
des Originals erscheint als Abweichung vom poetischen Sprachgebrauch. Der
Kopieversuch schafft eine überaus sperrige Übersetzung, die dazu zwingen soll, das
Russische darunter und dahinter wahrzunehmen. Das Englische wird unenglisch
gemacht, um die Sprache des Originals als etwas Fremdes vor Augen zu fuhren..
Nabokov rechtfertigt dies wie folgt: „Der Vollständigkeit der Bedeutung habe ich
jedes formale Element inklusive des jambischen Rhythmus geopfert, wann immer
seine Beibehaltung der Treue im Weg stand. Meinem Ideal der Wörtlichkeit habe
ich alles geopfert (Eleganz, Wohlklang, Klarheit, guten Geschmack, heutigen Wort-
gebrauch und sogar die Grammatik), was der gespreizte Nachahmer höher schätzt
als Wahrheit.“ Die Problematik der Zweisprachigkeit spielt in Nabokovs poetologi-
schen Äußerungen eine zentrale Rolle. Im Nachwort zur amerikanischen Ausgabe
von Lolita 1958 schreibt er von seinem erzwungenen Verzicht auf eine ihm unend-
lich gefügige, reiche, durch nichts restringierte russische Muttersprache (er nennt
diesen Verzicht „meine persönliche Tragödie“) und davon, dass er sich einer nm-
zweitrangigen Variante des Englischen habe zuwenden können, das auf „den hin-
tersinnigen Spiegel, die schwarzsamtene Fersenkappe, die mitverstandenen Assozia-
tionen und Traditionen“ nicht habe zurückgreifen können, deren sich die „hiesigen
Trickkünstler mit flatternden Rockschößen so zauberhaft bedienen, um das Erbe
der Väter auf ihre Weise zu überwinden“19. (Die Kritiker seiner Werke haben ihm
immer wieder bestätigt, dass er es mit den „Trickkünstlern“ durchaus aufzunehmen
weiß.)
Sowohl mit seinem Kommentar wie mit seiner Übersetzung nimmt Nabokov
diktatorisch die Rolle des einzigen wahren Puskin-Interpreten in Anspruch, der die
Vieldeutigkeiten und Anspielungen zu entschlüsseln vermag, ja der die Verfahren,
denen sie sich verdanken, als legitimer Nachfahre übernommen hat.
Mit der Inbesitznahme des ‘poetogenetischen Materials’ ebenso wie mit seinem
übermächtigen Kommentar zu Eugen Onegin usurpiert Nabokov das Original,
inkorporiert er den Vorgänger. Diese konsequent verfolgte Idee einer unbedingten
Nachfolge und späten Doppelgängerei schließt den Versuch ein, den Vorgänger nicht
nur mit dem eigenen Schreiben ins 20. Jahrhundert zu begleiten, sondern auch das
Bestreben, ihn zu übertrumpfen. Und dies unternimmt er mit Verfahren der offenen
und versteckten Anspielung auf Texte der Weltliteratur, mit raffinierten Gedanken-
spielen, mit der Kunst der falschen Fährte, der Mimikry und der Mystifikation (wie
sie seine russischen und englischen Erzähltexte bestimmen), Verfahren, die dem

18 Edmund Wilson, „The Strange Gase ofPushkin and Nabokov“, The Neu> York Review of Books,
1965, S. 2-6
19 Zitiert in: B. Averina, W Nabokov, pro et contra, Petersburg 1997, S. 89
 
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