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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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I. Das Geschäftsjahr 2012
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Esser, Hartmut: Ethnische Bildungsungleichheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0065
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SITZUNGEN

aber dann auch so gut wie ganz verschwinden, wenn die Hintergrundbedin-
gungen auch weiter gehend berücksichtigt werden.
(3) Die Vorgänge scheinen den seit Langem bekannten und auch praktisch überall
anderswo zu beobachtenden Mustern der intergenerationalen Integration zu fol-
gen: Die Kinder von Eltern der zweiten Generation haben deutlich geringere
Probleme als die der ersten Generation. Bei interethnischen Familien ver-
schwinden nahezu alle Nachteile. Es gibt einige Hinweise, dass der Prozess der
intergenerationalen Integration bei transnationalen Heiraten unterbrochen
wird, besonders bei nachgereisten Müttern der ersten Generation.
(4) Hinweise auf systematische Unterschiede in den allgemeinen kognitiven Fähig-
keiten („Intelligenz“) zwischen den ethnischen Gruppierungen gibt es nicht,
speziell dann nicht, wenn die familiären Aktivitäten berücksichtigt werden, die
eine zentrale Bedingung der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten besonders
schon im Vorschulalter bilden. Es gibt jedoch starke Effekte der individuellen
kognitiven Fähigkeiten auf die Entwicklung der (vor-)schulischen und sprach-
lichen Kompetenzen.
(5) Es sieht insgesamt so aus, dass die Migrantenfamilien, wenn die Hintergrund-
bedingungen in Rechnung gestellt werden, eine positive Selektion in latenten
Fähigkeiten und besonders in den Bildungsbereitschaften darstellen, deren
empirische Sichtbarkeit allerdings in vielen Fällen durch die nachteiligen
Umstände der alltäglichen Situation und der Folgen der Migrationsbiographie
mehr als überdeckt werden.
(6) Im Kern erfolgreicher Bildungswege steht vor allem anderen die sprachliche
Akkulturation der Migrantenkinder und bereits ihrer Eltern. Bei Fertigkeiten in
der Sprache des Aufnahmelandes verschwinden die Nachteile in den anderen
Kompetenzen nicht nur meist komplett, sondern es zeigen sich dann auch z.T.
bedeutsame Vorsprünge in den Kompetenzen und Leistungen vor den ver-
gleichbaren einheimischen Kindern. Das zeigt sich schon für die vorschulische
Entwicklung in schulbezogenen Fertigkeiten.
(7) Ethnische Eigenschaften und Aktivitäten wie besondere Kompetenzen und
Sprachgebrauch in der Erstsprache, binnenethnische oder gemischte Medien-
nutzung, Netzwerke und Identifikationen, scheinen dagegen so gut wie keine
über die einfache Akkulturation hinausgehende Bedeutung zu haben. Eher gibt
es, zum Teil massive, negative Effekte.
(8) Für Vorteile allein aufgrund der rechtlichen Situation, etwa bei den Aussiedler-
familien, gibt es keine schlüssigen Belege, weil es (bisher) keine Studien gibt, in
denen die nötigen Hintergrundbedingungen kontrolliert werden wie insbeson-
dere die (sprachliche) Akkulturation. Es gibt (bisher) auch keine Belege dafür,
dass die Verleihung eines Minderheitenstatus mit speziellen rechtlichen und insti-
tutionellen Regelungen für eine Verbesserung der schulischen Leistungen und
eine Verminderung von ethnischen Bildungsungleichheiten sorgen könnte.
(9) In nahezu allen Fällen, in denen die Vorgeschichte der jeweiligen Bildungsbio-
graphie erfasst und berücksichtigt wurde, zeigt sich, dass die jeweils beobachte-
ten Unterschiede davon bereits stark bestimmt sind. Das gilt insbesondere für
die Übergänge und die Leistungen in Grundschule und Sekundarstufe 1.
 
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