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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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I. Das Geschäftsjahr 2012
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Fehling, Jochen: Wirtschaftsethische Verantwortung in der Krise? Überlegungen aus der Wirtschaftsethik zur Finanzkrise
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0083
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102 | SITZUNGEN

11). Die Werte stehen dabei häufig in Konkurrenz untereinander; der wichtigste
wirtschaftsethische Wertkonflikt ist wohl derjenige zwischen Gleichheit und Frei-
heit. Normen setzen sodann Werte in Handlungsanweisungen um (Noll, 2002: 9).
Ethik beschreibt moralische Fragen der Realwelt (deskriptive Ethik), erörtert Grün-
de für oder gegen bestimmte Handlungsanweisungen (normative Ethik) und reflek-
tiert ihre eigenen Voraussetzungen (Metaethik, z.B. die Freiheit des Handelns). Unter
Ökonomie soll das Phänomen des Handelns unter Knappheit verstanden werden, das
die Ökonomik als Wissenschaft unter dem Paradigma des Effizienzgebots (maximie-
re den Output für einen gegebenen Input) untersucht. In dieser Sicht erscheint
Ökonomik stets schon als normative Wissenschaft. Wirtschaftsethik untersucht dann
die Bedingungen des guten und richtigen Handelns unter Knappheit. Sie deckt
so insbesondere inhärent normative Strukturen der Wirtschaftswissenschaften auf
und kontrastiert die gefundenen spezifisch-utilitaristischen Normsetzungen mit
Alternativen aus dem Bereich der normativen Ethik (deontologische Pflichtethik,
Tugendethik). Sie bedient sich dabei eines einfachen Handlungsmodelles. In dessen
Mittelpunkt steht das Individuum; dieses organisiert sich in Korporationen, die ihrer-
seits in eine staatliche Ebene eingebettet sind (Noll, 2002: 35). Auf allen drei dieser
Ebenen können wirtschaftsethische Überlegungen angestellt werden (ebenda).
Unmittelbar einsichtig ist dies für die Ebene der Individualethik. Wir sind es
gewohnt, Personen Verantwortung für ihr Handeln zuzuschreiben. Schwieriger ist
dies auf der Ebene der Unternehmen. Kann eine Bank als Unternehmen moralisch
verantwortlich gemacht werden für die Folgen ihres Handelns? Dafür sprechen die
Existenz einer internen Entscheidungskultur und einer Unternehmensphilosophie,
die die individuellen Entscheidungen der Mitarbeiter in vorgegebene Bahnen lenkt
(Grane & Matten, 2010: 47 ff.)1. Die staatliche Ebene wiederum leuchtet ein als
Ansatzpunkt ethischer Überlegungen. Es ist hier die Ordnungsethik angesprochen,
also die Frage der Ermöglichung des Entstehens und effizienten Funktionierens von
Märkten. Für die gegebene Fragestellung nach der wirtschaftsethischen Verantwor-
tung für die Krisen sind folglich stets alle drei Ebenen zu untersuchen. Man kann so
einerseits ein Regulierungsversagen seitens des Staates diagnostizieren (vgl. hierzu
Lin-Hi & Suchanek, 2009). Andererseits ist ein individuelles Versagen einzelner
Akteure festzustellen. Bankangestellte haben ja Hypothekenverträge mit Kunden
abgeschlossen. Deren häufig geringe Finanzkraft hätte die Mitarbeiter zumindest
kritisch hinterfragen lassen müssen, ob es legitim sei, die sogenannten Sub prime-
Kredite zu gewähren. Und die Kunden hätten sich darüber im Klaren sein können,
dass sie diese Kredite nie zurückzahlen würden können und dass sie sehr vulnerabel
im Bezug auf Zinserhöhungen seien. Unternehmensethisch erscheint schließlich als
dritter Ansatzpunkt die Frage nach der Verantwortung der beteiligten Banken als
Institutionen mit bestimmten Werten und einer bestimmten Unternehmenskultur
gegeben. Wenn beispielsweise nur die Anzahl der abgeschlossenen Verträge die Leit-

Neuhäuser (2011) legt eine sehr fundierte wirtschaftsphilosophische Untersuchung zu dieser
schwierigen Frage vor.
 
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