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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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Geschichte(n) des Gulag - Realität und Fiktion: 20. bis 22. März 2012
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0286
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In der folgenden Sektion „Fiktionale Realitäten des Gulag“, die sich über den
Mittwochnachmittag und den Donnerstagvormittag erstreckte, standen künstlerische
Verarbeitungen aus den Bereichen Bildende Kunst, Literatur und Film im Mittel-
punkt. Steven Barnes’ (Fairfax/Virginia) Präsentation der verstörenden Bilder des
ehemaligen Gulag-Häftlings Nikolaj Getman und insbesondere die fast pornogra-
phischen Bilder des ehemaligen Wachmanns Danzig Baldaev standen Vorträge zu
nicht weniger verstörenden literarischen Texten der polnischen, russischen und ser-
bokroatischen Gulag-Literatur zur Seite und mit ihnen die Frage, wie sich über die
Erfahrung des Lagers im schwierigen Spannungsfeld zwischen Fakt und Fiktion
schreiben lässt. Während Alfred Gall (Mainz) der „bestürzenden Kürze“ in Texten
des polnischen Schriftstellers Leo Lipski und des russischen Autors Lev Konson
nachging und die Bedeutung der Lakonie als Textprinzip herausarbeitete, konfron-
tierten Lukasz Neca (Mainz) und Renate Lachmann (Konstanz) jeweils Texte von
Autoren mit persönlicher Gulagerfahrung mit solchen von Schriftstellern, die ihre
Kenntnisse über die Lager nicht aus eigener Haft sondern sekundär bezogen hatten.
Lukasz Neca unterzog in dieser Perspektive die prominenten polnischen Schriftstel-
ler Gustaw Herling-Grudzinski und Wlodzimierz Odojewski einer vergleichenden
Lektüre. Renate Lachmann zeigte an Danilo Kis‘s Aufnahme und fiktionaler Anver-
wandlung von Karlo Stajners autobiographischem Lagerbericht die Chance des
„Pseudodokuments“ auf, Wesentliches der Lagererfahrung in einer Art herauszu-
kristallisieren, wie es im autobiographischen Bericht nur schwer vermittelbar ist. Die
Vielschichtigkeit literarischer Verarbeitungen der Gulagerfahrung machten einmal
mehr Leona Toker (Jerusalem) und Franziska Thun-Hohenstein (Berlin) sichtbar,
indem sie das Werk des inzwischen „klassischen“ Gulag-Autors Varlam Salamov einer
in die Tiefe reichenden Relektüre unterzogen. In ihrer Detailanalyse von zwei
bislang weniger beachteten Erzählungen Salamovs zeigte Leona Toker die in die
knappen Texte eingeschriebene philosophische Auseinandersetzung mit Formen des
Wissens auf und wies mit der Deutung der beiden Texte „Juli“ und „Mai“ als „Mini-
zyklus“ nach, wie Salamov die für ihn typische Technik des Schreibens in Zyklen
auch auf der Mikroebene praktizierte. Um eine Erfassung des Textprinzips bei
Salamov ging es auch Franziska Thun-Hohenstein, als sie Salamovs Prosa als eine
„Prosa der Operationalität“ las und aufschlüsselte. Neulektüren der Gulagliteratur
erfuhren im folgenden Beitrag von Anne Hartmann (Bochum) nochmals eine allge-
meine theoretische Reflexion. Mit der Frage, welche Texte eigentlich zur Gulaglite-
ratur hinzuzuzählen seien und mit ihrem Plädoyer für ein erweitertes Konzept der
Gulagliteratur bot Anne Hartmanns Vortrag einen produktiven Ansatz für die kriti-
sche Auseinandersetzung mit bereits bekannten Texten der Gulagliteratur wie auch
mit Texten, die bislang noch nicht unter dem Aspekt einer Zugehörigkeit zur Gulag-
literatur betrachtet wurden.
Der Vortrag der Medienwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa (Mainz) zum
Gulag im sowjetischen und russischen Film, erfüllte in zweifacher Hinsicht eine
Brückenfunktion. Am Mittwochabend hatten die Tagungsteilnehmer zusammen mit
interessierten Heidelberger Bürgern einen gemeinsamen Filmabend im Kommuna-
len Kino Karlstorbahnhof verbracht. Nach einer Einführung von Frau Professor
 
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