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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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Geschichte(n) des Gulag - Realität und Fiktion: 20. bis 22. März 2012
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0287
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306 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

Bulgakowa wurde die Verfilmung der Gulag-Memoiren von Evgenija Ginzburg
gezeigt, einer der bekanntesten russischen Vertreterinnen der Gulag-Memoirenlite-
ratur („Within the Whirlwind“, Regie: Marleen Gorris, 2009). Frau Bulgakowas Vor-
trag am Donnerstagvormittag bot dann zum einen eine Gegenperspektive zu der am
Vorabend gesehenen und recht kritisch bewerteten „westlichen“ Verfilmung. Zum
anderen schuf der Vortrag den Übergang zu der letzten Tagungssektion „Populari-
sierung und politische Instrumentalisierung des Gulag“. Den künstlerisch ambitio-
nierten Filmprojekten bei Bulgakova stand im Vortrag der Literatur- und Kulturwis-
senschaftlerin Irina Gradinari (Trier) die Demonstration einer banalisierenden und
auf die Sehgewohnheiten des heutigen Fernsehpublikums ausgerichteten Darstel-
lung gegenüber, die zudem eine Gleichsetzung der stalinistischen mit den national-
sozialistischen Lagern anstrebt. Der Verarbeitung des Gulag in der Gegenwarts- und
Populärliteratur widmeten sich die Vorträge der Literaturwissenschaftler Il’ya Kuku-
lin (Moskau) und Nina Fries (Potsdam).Während Il’ya Kukulin den kulturellen und
psychologischen Bedingungen der Darstellung des Gulag in der russischen Gegen-
wartsliteratur nachging und diese somit als eine Art kulturelles Psychogramm las,
untersuchte Nina Frieß den gegenwärtigen Boom westlicher Thrillerliteratur wie
die des englischen Autors Tom Rob Smith im Hinblick auf die Frage, was für ein
Gulagbild diese auflagenstarken Unterhaltungsromane vermitteln. Die Vorträge von
Irina Fliege (St. Petersburg), die als Vertreterin der Menschenrechtsorganisation
Memorial an der Konferenz teilnahm, und von der Musikwissenschaftlerin Inna
Klause (Göttingen) weiteten noch einmal die Perspektive auf bislang wenig unter-
suchte Medien und Darstellungsformen des Gulag. Irina Füge präsentierte die visu-
elle Darstellung des Gulag anhand von Exponaten eines Internet-Museumprojektes,
während Inna Klause der bis heute anhaltenden Popularität russischer Gaunerlieder
nachspürte.
Einen besonderen Abschluss erhielt die Konferenz am Donnerstagabend durch
die Vorführung des Dokumentarfilms „Als Student im Gulag. Eine Reise in die Ver-
gangenheit“ (Regie: Mario Damolin/Bernhard Kilian, Dtl. 1998) mit anschließen-
dem Autoren- und Zeitzeugengespräch. Der Dokumetarfilmer Mario Damolin hatte
1998 den ehemaligen Heidelberger Studenten Volker Schaffhauser, der 1967 zu vier
Jahren Lagerhaft verurteilt und 1969 im Zuge eines Gefangenenaustausches früh-
zeitig aus der Haft entlassen wurde, auf einer Reise zurück an die Orte der Haft
begleitet. Dass sowohl der Regisseur Mario Damolin als auch der Zeitzeuge Volker
Schaffhauser während der gesamten Tagung anwesend waren und sich mit ihrer je
spezifischen Perspektive in die Diskussionen einbrachten, bereicherte die Diskussio-
nen und die Erfahrungstiefe der Konferenz.
Die internationale und interdisziplinäre Konzeption der Tagung wurde von
den Teilnehmern als ausgesprochen fruchtbar erfahren, was sich in den lebhaften
Diskussionen direkt in Anschluss an die Vorträge sowie in den sich jeweils in die Pau-
sen fortsetzenden Gesprächen zeigte. Die gastliche Atmosphäre der Akademie, das
strahlende Frühlingswetter sowie interessierte Gasthörer, die bis aus Jena und sogar
Italien nach Heidelberg gekommen waren, trugen zu dieser offenen und angeregten
Gesprächsatmosphäre bei. In den Reaktionen der Teilnehmer auf die Tagung wur-
 
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