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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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I. Das Geschäftsjahr 2012
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Šumski, Lisa: Gefallene Engel, gehörnte Frauen und gemeine Schlangen: Ovids Metamorphosen im Kontext des christlichen Mittelalters
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2. Mai 2012 | 115

2. Mai 2012
LISA SUMSKI
Forschungsstelle „Altfranzösisches etymologisches Wörterbuch“
Gefallene Engel, gehörnte Frauen und gemeine Schlangen.
Ovids Metamorphosen im Kontext des christlichen Mittelalters
Der altfranzösische Ovide moralise (ca. 1320) ist die erste vollständig überlieferte
Übersetzung der Metamorphosen Ovids aus dem Lateinischen in eine romanische
Sprache. Das anonyme Werk enthält darüberhinaus einen umfangreichen Kommen-
tar, der die übersetzten antiken Erzählungen in christlicher und mittelalterlicher Per-
spektive auslegt. Es findet demnach nicht nur ein sprachlicher Übertragungsprozess,
sondern auch ein kultureller Anpassungs- und Aneignungsprozess statt. Der derart
moralisierte Ovid umfasst insgesamt rund 72.000 Verse, hat also etwa das sechsfache
Volumen des lateinischen Ursprungstextes. Nach aktuellem Forschungsstand ist der
Ovide moralise in 21 auf das 14. und 15. Jahrhundert datierten Handschriften über-
liefert, die von einem bemerkenswerten Erfolg des Werkes im Mittelalter zeugen.
Beispielhaft lässt sich die kulturelle Anpassungs- und Aneignungsleistung des
Ovide moralise am Cerasten-Mythos darstellen. Das lateinische Vorbild, Metamorphose-
on Libri,N 220-2371 gibt die folgenden Elemente vor: Die Gerasten, ein Volk aus der
Stadt Amathus auf Zypern (illos, gemino quondam quibus aspera cornu frons erat; unde
etiam nomen traxere Cerastae), ermorden schuldlose Fremde auf einem Altar des
Jupiters, der eigentlich das Gastrecht beschützen sollte (ante fores horum stabat lovis
Hospitis ara,... hospes erat caesusl), und werden dafür von Venus bestraft, die sie in
Stiere verwandelt (sacris offensa nefandis... Venus...grandiaque in torvos transformat mem-
bra iuvencos'). Der altfranzösische Ovide moralise, X 883-911, bietet eine recht detail-
getreue Übersetzung der lateinischen Vorlage:
en Amatonte.... Devant l’uis des2 Cerastes ot une aire sacree a Jovi... Li Cereste y
sacrefioient les pelerins qui la venoient. Venus hay tel sacrefice... Lors lor mist double
corne es eines. Si sont fet cor3 4 fier etfelon. Ancores les apele Von Cerastes, c’est cor-
nue beste, pour les cornes qu’il ont en teste.3
Interessanter als die leichte Textumstellung und die Tatsache, dass die lateinischen
Gerasten ihre Hörner bereits vor, die altfranzösischen erst nach der Metamorphose
tragen, ist der Wandel der lateinischen Fremden in altfranzösische Pilger. Der Über-

1 Zitiert nach: Ovidius Naso, P.: Metamorphoseon Libri. Ed. Fink, G., 52009, 270.
2 Lesart der Basishandschrift Rouen Bibi. mun. 04: de, emendierte Lesart aus Lyon Bibi. mun. Hs.
742, f° 169r°a.
3 Die Basishandschrift unterscheidet deutlich zwischen c und t. Die Lesart Lyon Bibi. mun. Hs. 742,
f° 169r°a tor (von 1t. TAURUS) scheint die lateinische Quelle besser zu respektieren.
4 In Amathus... Vor dem Haus der Cerasten gab es eine Stätte, die Jupiter geweiht war... Die Cerasten opfer-
ten dort die Pilger, die dorthin kamen. Venus hasste dieses Opfer... dann setzte sie ihnen zwei Hörner auf
die Köpfe. So wurden stolze und böse Hörner gemacht. Noch heute nennt man sie Cerasten, das heißt
gehörntes Tier, wegen der Hörner, die sie auf dem Kopf haben. [Übs. L.S.].
 
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