Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2012
DOI Artikel:
Lachmann, Renate: Aleksandr Puškin Eugen Onegin und dessen Nachgeschichte im Werk Vladimir Nabokovs: Festrede
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0030
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
12. Mai 2012

49

RENATE LACHMANN HÄLT DEN FESTVORTRAG:
„ALEKSANDR PUSKINS EUGEN ONEGIN UND SEINE NACHGESCHICHTE
IM WERK VLADIMIR NABOKOVS".
I.
Hundert Jahre trennen Vladimir Nabokov von Aleksandr Puskin, eine zeitliche
Distanz, die der Jüngere stets bestrebt war zu überwinden. Als in Russland im Jahre
1999 der Geburt Puskins vor zweihundert und der Geburt Nabokovs vor einhun-
dert Jahren gedacht wurde, ging aus diesem zeitlichen Abstand deutlich hervor, dass
der eine aus dem 19. ins 20. Jahrhundert zum Nationaldichter herangewachsen war,
während dem anderen,Jahrzehnte literarisch nahezu verschollenen, erst Ende des 20.
Jahrhunderts ein Weg in die russische Literatur gebahnt werden konnte. Dazu
bedurfte es der Veröffentlichung seiner lange Zeit tabuisierten Werke, die russischen
Übersetzungen seiner englisch geschriebenen Romane eingeschlossen, und es
bedurfte der Anerkennung seines Renommes als glänzender Stilist und Erzähler,
das er in Amerika erworben hat. Aber auch seiner Doppelrolle wurde gedacht, die
Nabokov in seiner (vorübergehenden) Wahlheimat gespielt hat. Denn nicht nur als
Literat, sondern auch als Schmetterlingsforscher1 verschaffte er sich Gehör. Seine
Hypothese über die Migration einer bestimmten Schmetterlingsgattung aus der
Familie der Lycaenidae (Bläulinge) von Asien nach Amerika (die, so seine Annahme,
in fünfWellen über die Beringstrasse erfolgt ist) wurde 2011 von der Royal Society
bestätigt.
In Russland wird Nabokov vermutlich ein Autor der Eingeweihten und der
Schriftsteller bleiben, während Puskins Werk ebenso wie das Wissen um sein Leben
und Sterben zum allgemeinen Bildungsgut gehören. Bereits im 19. Jahrhundert war
die kulturelle Präsenz Puskins nicht nur literarisch durch die Eugen-Onegin-Epigo-
nen, sondern auch musikalisch und ikonisch verbürgt. Einige seiner Werke ließen
sich auch als Opern feiern, dank der Erfolge von Peter Tschaikowskis Eugen Onegin
und Pique Dame und Modest Mussorgskis Boris Godunov. Michail Glinka, (dessen
Musik anlässlich der Jahresfeier 2012 so meisterlich gespielt wurde), war nicht nur
Puskins Freund, sondern hat auch sein Epos Ruslan und Ludmila als Oper gestaltet.
Kurz nach Puskins Duelltod (1837) wurde die erste seiner Büsten aufgestellt
(Abb. 1). Nach einer verwickelten Vorgeschichte kam es 1880 in Moskau zur feier-
lichen Enthüllung eines Standbildes, bei der Intelligenzia und Volk gleichermaßen
zugegen waren (Abb. 2)2 In der Folge breitet sich der Denkmalskult aus, die russi-
schen Städte wetteifern im Entwurf‘ihres’ Puskin miteinander: der Dichter sitzend,
stehend, in entspannter Pose (Abb. 3) oder eben zeremoniös. Das 20. Jahrhundert
setzte diese Tradition fort. In nachrevolutionärer Zeit gerieten Lenin- und Puskin-
Denkmäler in Konkurrenz, was die Prominenz des Ortes betraf, an dem sie aufge-
1 Für Nabokov gilt aber über das Wissenschaftliche hinaus eine Verbindung, die er so beschreibt:
„My pleasures are the most intense known to man: writing and butterfly hunting“, in: Strong Opi-
ilions, 1973
2 Zu diesen Vorgängen vgl. Francois-Xavier Coquin, „Le monument de Pouchkine ä Moscou
1888“, in: M. Aucouturier, J. Bonamour, J. (Hg.) L’Universalite de Pouchkine. Paris 2000, S. 393—
414.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften