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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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I. Das Geschäftsjahr 2012
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Šumski, Lisa: Gefallene Engel, gehörnte Frauen und gemeine Schlangen: Ovids Metamorphosen im Kontext des christlichen Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0097
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VERANSTALTUNGEN

setzer antizipiert hier seine spätere christliche Auslegung des antiken Mythos, ein
typisches Verfahren im Ovide moralise.5
Aus lexikographischer Perspektive interessiert die Aussage Cerastes, c’est cornue
beste, die im altfranzösischen Text über die Bedeutung des Wortes Ceraste getätigt
wird. Der Wert einer solchen isolierten Metaäußerung wird jedoch erst im Kontext
weiterer Belegstellen sichtbar. Ein wichtiges Hilfsmittel ist hierbei die historische
Lexikographie, deren Ziel es ist, die Bedeutung der Wörter, des Wortschatzes einer
historischen Sprache in einem Wörterbuch aufzuzeichnen und zu erklären. Ein Arti-
kel ä la DEAF zum Lemma Ceraste, entlehnt aus 1t. GERASTES, -AE f./m. (ThesLL
3,854) liefert die folgende, für das Altfranzösisch und Lateinische gültige Bedeu-
tungsdefinition: “sehr giftige Schlange aus Afrika oder Asien, die über den Augen
zwei Ausstülpungen in der Form kleiner Hörner trägt6”. Ein beispielhafter Kontext
zu dieser Bedeutung aus JacVitryB 87,377 8 lautet:
Cerastes est uns serpens qui cornes a en la teste, si repont en la poudre tont son cors,
et seulement ses cornes il les moustre as oisiaus, et quant li oisel sieent desus, il les
ocist.s
Diese gemeine Schlange ist kein Phantasietier, sondern die Cerastes cerastes oder
Hornviper9. Im Symbolsystem des christlichen Mittelalters steht sie ausgehend von
Genesis 49,17:Jhü Dan coluber in via, cerastes in semita10 11 für den Antichrist oder den
Teufel1'. Weder Definition noch Kontext scheinen zunächst zum oben zitierten
Textausschnitt zu passen. Tatsächlich ist der Plural Cerastes aus 1t. CERASTAE (ThesLL
Onom. 2,331) entlehnt und bezeichnet im Lateinischen und Altfranzösischen das
mythologische Volk aus Zypern, das von Venus in Stiere verwandelt wird. Gemein-
sam sind Schlangen und gehörntem Volk allein ihre Hörner, denen beide ihren
Namen verdanken (von griechisch XEQaOTT]^ “gehörnt”).
In drei aufeinanderfolgenden Auslegungen des Cerasten-Mythos im Ovide
moralise, die an für das Mittelalter typische Verfahren christlicher Allegorese paganer
Texte anknüpfen, lässt sich jedoch ein potentielles Verbindungselement zwischen
Mythos und Symbolbedeutung der Schlange finden. Nach der ersten Auslegung,

5 Vgl. z.B. Possamäi-Perez, M. (2011): L’Ovide moralise : Uh texte dans ses manuscrits, 656b.
6 Die Definition wie folgende Aussagen wurden aus Gründen der allgemeinen Verständlichkeit ins
Deutsche übersetzt. Für die französische Version s. Sumski, L. (2012): Des Cerastes et desfemmes cor-
nues, Annexe.
7 Für detaillierte bibliographische Angaben zu den DEAF-Sigeln s. http://www.deaf-page.de
Zbibl_neu.htm.
8 Ceraste ist eine Schlange, die Hörner auf dem Kopf hat, und die ihren ganzen Körper in den Staub ein-
gräbt; und nur ihre Hörner, die zeigt sie den Vögeln, und wenn die Vögel sich darauf setzen, dann tötet sie
sie. [Übs. L.S.]
9 Vgl. Gruber, U. (1989): Die Schlangen Europas und rund ums Mittelmeer. Stuttgart, Franckh, 173—
175.
1(1 Zur Schlange am Weg wird Dan, zur zischelnden Natter am Pfad.
11 Vgl. Sumski, L. (2012): Des Cerastes et desfemmes cornues, Annexe; TRE 3,20—50, v.a. 25£; Raba-
nus, MignePL 111,228C: cerastae nomine diabolus vel Antichristus significatur.
 
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