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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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I. Das Geschäftsjahr 2012
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Šumski, Lisa: Gefallene Engel, gehörnte Frauen und gemeine Schlangen: Ovids Metamorphosen im Kontext des christlichen Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0098
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2. Mai 2012 | 117

X 3520-3539, stehen die Cerasten für diejenigen, welche die Heiligen, da sie den
Neuen Glauben predigen, wie Schafe opfern. Ihre Hörner symbolisieren Stolz, Wut
und Zorn; die Strafe der Verwandlung steht für die Strafe der ewigen Schande und
der Entehrung durch Gott:
Li Ceraste... notent lesfelons homicides qui les sains qui pelerinoient par le monde
et endoctrinoient le pueple en la nonvele foi, parfelonie et par bouffoi, com öeilles
sacrefioient... Li glouton, plain de mescreence, furent fet cornn, c’est a dire, plain
d’orgueil et de rage et d’ire... Et Diex malement les puni, qui por lor mesfes les honi
et mist a honte pardurable. Ensi s’acorde a voir la fable.
So, also erst im Bezug auf die Schilderung der Märtyrermorde des Neuen Testaments
(z.B. Apostelgeschichte 7,54-60) stimmt die Erzählung mit der Wahrheit überein, urteilt
der Kommentator des Ovide moralise.
In der zweiten Auslegung, X 3540—3549, stehen die Gerasten für die gefalle-
nen Engel, denen Gott die Schönheit nahm und die er ins Verderben stieß, weil sie
ihn missachteten und sich ihm in wahnsinniger Anmaßung gleich machen wollten. Zur
Strafe sind sie nun voll des Unglücks, gehörnt, schwarz und voll der Hässlichkeit:
Ou, qui veult autrement gloser, autre sentence y puet poser: Li Ceraste, qui s’orgueil-
lirent, sont li angle qui Dien despirent et pers se vaudrent fere a li, dont Diex lor
biaute lor toli si les mist a perdicion, pour lor fole presumpcion. Or sont plain de male
aventure, cornu, noir et plain de ledure.
Auch die zweite Auslegung nimmt auf ein biblisches Motiv Bezug, den Fall der
Engel (z.B. Petrus 2,4; Offenbarung des Johannes 12,912). Ein impliziter Verweis auf
das mittelalterliche Symbolsystem, in dem die Cerasten-Schlange für den Teufel oder
Antichristen steht?
In der dritten Auslegung, X 3550—3558, bezogen auf den historischen Entste-
hungsmoment des Ovide moralise, stehen die Gerasten für Huren, die sich Hörner
machen, wie gehörnte Tiere herumlaufen und der Meinung sind, dadurch schöner
zu sein und mehr zu gefallen (aber das tun sie nicht, kommentiert der Erzähler):
Et ceulz, ce samble, contrefont les putains qui cornes sefont et vont comme bestes
cornues, testes levees, par ces rues... Et pour les cornes, qu’eles ont, lor est vis que
plus beles sont et que plus plesent, mes nonfont.
Als moderner Leser mag man sich vielleicht fragen, warum die gehörnten Frauen
wohl stolz auf ihr Gehörntsein sind? Im 14. Jahrhundert erfreute sich eine Damen-
frisur aus zu Hörnern aufgetürmtem Haupthaar großen Erfolgs13 - über die man
sich schon im Mittelalter lustig machte, und das nicht nur im Ovide moralise, aber das
ist eine andere Geschichte.

12 Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt ver-
führt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.
13 Vgl. Metzger, W. (2013): Zum Bildzyklus der Handschrift, S. 29f.
 
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