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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

DOI Kapitel:
I. Das akademische Jahr 2013
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Kirchhof, Paul: Festrede von Paul Kirchhof: „Der Auftrag einer Akademie in Zeiten kulturellen Umbruchs“
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0027
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JAHRESFEIER

Menschen in Würde, von seiner Rechtspersönlichkeit, sucht den Menschen vom
Objekt zum Subjekt der Ordnung zu machen. Stets waren große Gedanken der
Antrieb zu grundlegenden Reformen, in der Moderne insbesondere die Idee der
Menschenrechte, der Bürgerrechte, der guten Nachbarschaft von Staat und Kirche,
eines Weltfriedens. Doch gegenwärtig scheint sinnstiftendes Denken an moralischer
Kraft zu verlieren.
Wenn wir in die neueste Geschichte unseres Staates blicken, beobachten wir
einen bewundernswerten Neuanfang in schier auswegloser Lage. Bei Gründung der
Bundesrepublik (1949) hatte Deutschland den Krieg verloren, war völkerrechtlich
geächtet, Tod und Gefangenschaft, Zerstörung und Armut, Hunger und Elend
bestimmten das Geschehen. Doch unsere Großeltern hatten einen gemeinsamen
Willen zum Besseren: zum Frieden, zur Würde des Menschen, zur Freiheit und
Gleichheit, zum Sozialen. In diesem entschiedenen Willen zu etwas gemeinschaftlich
Anderem entstand der demokratische Rechtsstaat, ein bald voll integriertes Mitglied
der Staatengemeinschaft, eine Hochkultur, ein Wirtschaftswunder - und das ohne
Schulden bei gleichzeitigem Aufbau eines Juliusturms. Und als 1989 die Wiederver-
einigung Deutschlands — lange erhofft, dann aber doch unverhofft - gelang, war der
Auslöser dieses historisch einmaligen Vorgangs friedlichen sich Wiedervereinens das
Staatsvolk, das durch den Willen zur Freiheit — der Meinungsäußerung, der Presse
und des Rundfunks, des Reisens, der in der D-Mark angelegten Handlungsmög-
lichkeiten — vereint war und dieses Ziel in Demonstration mit Kerzen und Kirchen-
liedern beharrlich bekundete. Die Mauer ist gefallen.
Heute denken wir eher in individuellen Anliegen der Besserstellung, wollen
für uns bessere Berufsbedingungen, ein höheres Einkommen, mehr Anerkennung,
mehr politischer Macht. Die wissenschaftlichen Akademien stehen deshalb vor der
Aufgabe, in dieser Phase eine Orientierungsarmut kraftvoll auf eine gemeinsame
Kultur hinzuwirken, die in unserer Geschichte wurzelt, in dieser Herkunft sprach-
lich begriffen wird, mit unseren Methoden des Erfahrens und Ergründens das Ziel
unserer Gemeinschaft begreift.
(2.) Die Wissenschaft ringt um die Mitte der Welt, die traditionell der Mensch
beansprucht. Doch die Naturwissenschaften beobachten den Menschen als belang-
losen Punkt im Universum, verstehen ihn in seinen Genen, in denen er sich nur
geringfügig von anderen Lebewesen unterscheidet, sehen ihn durch Gehirnkausa-
litäten determiniert, die seine Freiheit in Frage stellen. Die Orientierungswissen-
schaften hingegen — die Theologie, die Philosophie, die Geschichte, die Rechtswis-
senschaften — handeln von einem Menschen, der frei ist und deshalb verantwortlich
die Welt bestimmt.
Doch Erfahrungs- und Orientierungswissenschaften nähern sich in ihrer Weit-
sicht einander an. Die Welt war eine Schöpfung, deren Naturgesetzmäßigkeiten der
Mensch sich unterworfen fühlte, deren Geheimnisse und Unergründlichkeiten er
achtete. Dann macht sich der Mensch die Welt dank seiner Naturwissenschaften
untertan. Heute wird die Welt im Auftrag des Umweltschutzes, in der Idee der Frei-
heit und der Nachhaltigkeit des Generationenvertrags geschützt. Rationalität gestat-
tet dem Menschen gebundene Herrschaft über die Welt.
 
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