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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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II. Das WIN-Kolleg
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Sechster Forschungsschwerpunkt „Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
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7. Quantifizierung und Operationalisierung der Verhältnismäßigkeit von internationalen und interlokalen Sanktionen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0263
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7. Verhältnismäßigkeit von internationalen Sanktionen (WIN-Programm)

Schutzpflichtperspektive betroffen. Zugleich sind die kollidierenden nationalen
Souveränitätssphären und die mit ihr verbundenen Legitimations- und Verant-
wortungszuordnungen grundsätzlich zu wahren. Dies führt zu komplexen Ein-
griffs- und Schutzbeziehungen. Der die Sanktionen verhängende Staat mag dies
in Erfüllung einer Schutzpflicht tun, die er seinen Bürger gegenüber hat (z. B. bei
Gefahr eines Angriffskrieges oder von Terrorismus). Der von Sanktionen betrof-
fene Staat kann möglicheiweise in völkerrechtlichen Rechten betroffen sein (z. B.
Welthandelsrecht), direkt mit Sanktionen belegte Individuen in ihren Menschen-
rechten. Einwohner eines mit Sanktionen belegten Staates sind indirekt betroffen,
müssen aber eine unter Umständen starke Verschlechterung ihrer wirtschaftli-
chen Handlungsfreiheit und ihres Lebensstandards hinnehmen. Schließlich sind
auch die Einwohner des die Sanktionen verhängenden Staates oder internationa-
len Organisation betroffen, da ihnen der Handel - häufig unter Strafbarkeitsan-
drohung - verboten und der Abbruch mitunter langjähriger Kundenbeziehungen
zugemutet wird.
Eine wichtige Teilfragestellung ist die Operationalisierung des Verhältnismä-
ßigkeitsprinzips in diesen Konstellationen. Dabei sind insbesondere Schutzpflich-
ten zu Gunsten der Bürger eines Staates mit den Eingriffsfolgen für die Bürger
des anderen Staates abzuwägen. Neben Fragen der Eignung (Läuft die Sanktion
völlig leer wegen anderweitiger Handelsbeziehungen?) und der Erforderlichkeit
(„targeted sanctions“ auf bestimmte Güter, Branchen, Personen anstatt der gan-
zen Wirtschaft) stellen sich auch Fragen der angemessenen Abwägung zwischen
Schutzgut und Sanktionsfolgen im engeren Sinn. Rechtfertigen z. B. Kriegsdro-
hungen und Aufrüstung eine Sanktionierung der gesamten Wirtschaft, welche das
Durchschnittseinkommen im sanktionierten Land erheblich vermindert?
Im Bereich der Sanktionen besteht die Besonderheit, dass einige wirtschaft-
liche Auswirkungen in der Regel quantifiziert werden können, so z.B. durch
Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts. In der juristischen Praxis sind jedoch
natürlich-sprachliche Abwägungen vorrangig, bei denen die Belange durch frei
gewählte Attribute wie z.B. „geringfügig“, „erheblich“, „groß/hoch“, „sehr groß/
sehr hoch“ und „überragend“ strukturiert werden. Der Überzeugungsgehalt liegt
in der Argumentation, die jedoch durch einfache stilistische Mittel und rhetori-
sche Wendungen beeinflusst werden kann und in der Regel wenig Transparenz
und fallübergreifende Vergleichbarkeit bietet. Gerade im Vergleich zum rechts-
theoretischen Anspruch der Abwägung (u. a. Optimierungsgebot) bestehen hier
Zweifel.
Numerische Verfahren versprechen hier größere Bestimmtheit, die sie über
eine Verrechnungseinheit erreichen. Numerische Verfahren sind in der Recht-
spraxis in bestimmten Bereichen, bei denen es insbesondere auf die relative Ver-
gleichbarkeit ankommt, verbreitet. Beispiele sind die Notengebung, aber auch die
Bewertung von Ausgleichsflächen im Naturschutzrecht, Angebote bei der Vergabe

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