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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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II. Das WIN-Kolleg
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Sechster Forschungsschwerpunkt „Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
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15. Zählen und Erzählen – Spielräume und Korrelationen quantitativer und qualitativer Welterschließung
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0293
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15. Zählen und Erzählen (WIN-Programm)

überbrückbare Differenzen? Mit anderen Worten: Worin liegt jeweils das Potenzial
und wo liegen die Grenzen quantitativer bzw qualitativer Welterschließung?
Das WIN-Projekt Zählen und Erzählen. Spielräume und Korrelationen quantitativer
und qualitativer Welterschließung setzt gezielt an diesen wissenschaftlich relevanten
Fragen an. Es flankiert zwei Tübinger Habilitationsprojekte auf dem Gebiet der äl-
teren deutschen Literatur und der mittelalterlichen Geschichte, die sich nicht nur
eine grundlegend geisteswissenschaftliche Perspektive teilen und bereits auf diver-
se Vorarbeiten (Publikationen, Vorträge) zurückgreifen können. Eine wesentliche
Gemeinsamkeit der beiden Projekte ist v a. auch auf der Ebene der heuristischen
Metareflexion die Methodik des „Zählens und Erzählens“ und die Fokussierung
der Frage nach der Leistungsfähigkeit quantitativer und qualitativer Herangehens-
weisen. Das WIN-Projekt Zählen und Erzählen spiegelt diese Schnittstellen und
das damit verbundene Potenzial einer fächerübergreifenden Methodenreflexion in
der Zusammenführung zweier Teilprojekte, deren Architektur jeweils disziplinen-
spezifisch ausgerichtet und dabei zugleich auch dezidiert dialogisch auf einander
abgestimmt ist.
I. Literarisches (er)zählen. Historisch-narratologische Perspektiven (Lauer)
Literarisches Erzählen im Mittelalter weist eine enge konzeptionelle Nähe zur Pra-
xis des Zählens auf. Im Anschluss an die Techniken antiker rhetorisch-poetischer
ars greift es bereits vorgegebene oder vorgefundene Stoffe, Motive und Muster auf
und bearbeitet dieses numerisch-quantifizierbare Material nach vorgeschriebenen
Gestaltungsregeln: Es erweitert und rafft und setzt so mit spezifischen Verfah-
ren des Vergleichens, Messens und Relativierens Sinn und Bedeutung. Zugleich
weicht die mittelalterliche Erzählkunst jedoch auch markant vom Akt des Zählens,
Kombinierens und Sondierens einzelner narrativer Bausteine ab. D. h. sie verwen-
det zwar quantifizierbare Erzählelemente. Sie bleibt aber bei der Summierung der
Einzelteile nicht stehen, sondern eröffnet gerade im Umschlag vom Zählen zum
Erzählen ihr eigentliches Potenzial. Als spezifische Form des Imaginären, das im
Zusammenhang einer historischen Wirklichkeit entsteht, in seiner Darstellungs-
ästhetik jedoch nicht den klassisch-logischen Standards von Raum und Zeit ver-
pflichtet ist, vermag das literarische Erzählen die Welt gerade auch in deren be-
sonderer Inkommensurabilität zu erschließen und vermitteln: Es präsentiert die
Welt- und Wirklichkeitswahrnehmung von Einzelnen, bringt subjektive Erfah-
rungen, Gefühle und Verhaltensweisen zur Anschauung und präsentiert Sinn und
Bedeutung in betonter Relativität, Heterogenität und Komplexität.
Das germanistische Teilprojekt setzt an dieser Eigenart mittelalterlichen lite-
rarischen Erzählens an. Es ergänzt das Tübinger Habilitationsprojekt Die Kunst der
Intrige. Spielarten eines Skandalons in der mittelhochdeutschen Epik des 12. Jahrhunderts,
das sich der bislang weitgehend unbeachtet gebliebenen Rolle des kultur- und lite-

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