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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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B. Die Forschungsvorhaben
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II. Tätigkeitsberichte (chronologisch)
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18. Kommentierung und Gesamtedition der Werke von Karl Jaspers sowie Edition der Briefe und des Nachlasses in Auswahl
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0227
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18. Gesamtedition der Werke von Karl Jaspers

und ganz große Philosophen gleich mehrere. Oft aber schaffen Gesamtausgaben
ungewollt Rezeptionsbarrieren, indem sie das Interesse an eminenten Texten durch
zusätzliche Materialien in eine archivarische Richtung zwingen, die allenfalls noch
für Spezialisten lohnend scheint. Die Frage ist nicht, ob wir über Wahrheit und Me-
thode hinaus Gadamer komplett, über Das Prinzip Verantwortung hinaus den ganzen
Jonas „brauchen“. Sondern ob der Sache damit gedient ist, die in diesen Texten
ebenso prägnant wie unüberholbar zur Sprache kommt.
Jaspers stellt hier einen Sonderfall dar. In gewisser Weise hat er zeitlebens
nur an einem Buch geschrieben, das einmal schlicht „Philosophie“, dann „Von der
Wahrheit“ heißt und zu dem sich selbst opulente Werke wie Die Psychologie der Welt-
anschauungen oder Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung als Vorarbeiten,
Retraktationen oder Anwendungen verhalten. Um dieses eine Buch zu verstehen,
braucht es in der Tat das ganze CEuvre. Aber das ganze CEuvre war für Jaspers
zugleich ein Grenzbegriff. Der Plan einer Gesamtausgabe kümmerte ihn nicht,
anders als Heidegger, der durch flankierende „Winke“ der Selbstinterpretation und
die Fixierung von Publikationsdaten im Vorhinein über die eigene Text- und Re-
zeptionsgeschichte verfügen wollte - und inzwischen wissen wir, wie irritierend
konsequent Heidegger sein Andenken geplant, ja erzwungen hat: Mit den sog.
„Schwarzen Heften“ steht, nach 80, 90 bereits edierten Bänden, alles wieder zur
Disposition; Heidegger müsse neu, noch einmal von Anfang gelesen werden, ver-
sichern die Kenner. Auch so kann man seine Gesamtausgabe überleben.
Schwarze Hefte gibt es in Jaspers’ Nachlass nicht. Aber eine Fülle von Notizen,
Fragmenten, Buchprojekten und Buchtorsi, teils Fortsetzungen von publizierten
Schriften, zur Philosophie der Logik und zur Weltgeschichte der Philosophie, teils
Neues und Unbekanntes. Bis ins hohe Alter waren die dazugehörigen Konvolute
Works in Progress. Irgendwann in den späten 1960er Jahren jedoch hat Jaspers ent-
schieden, die Projekte ad acta zu legen: eine Entscheidung, hinter der nicht pragma-
tische Gründe, das Alter oder gesundheitliche Rücksichten standen - „krank“ war
Jaspers immer -, sondern die Akzeptanz des Fragmentarischen als der Letztgestalt
philosophischer Erkenntnis: Brechts „Dies ist nun alles und ist nicht genug“ aus
der Steffin’schen Sammlung wäre das adäquate Motto auch einer Jaspers-Gesamtaus-
gabe. Wenn Jaspers dabei auf etwas vertraute, das dem Denken noch im Scheitern
entgegenkommt, die Bruchstücke der Wahrheitssuche quasi vervollständigt, dann
auf das, was er „die Transzendenz“ nannte - jedenfalls nicht auf die Wirkungsge-
schichte. Um das Maß wieder zu finden, sagte er, müsse man sich „von den eigenen
Schriften und von ihrer möglichen Wirkung in der Welt getrennt haben“.
Der Nachlass war ihm deshalb wertlos. Wie damit zu verfahren sei, hat er
anderen delegiert - zunächst seiner Frau, dann, in testamentarischer Sukzession,
Hannah Arendt und Hans Saner. Dass nahezu das gesamte Material, mehr als 120
umfangreiche Kästen allein im Deutschen Literaturarchiv, erhalten blieb, ist nicht
hoch genug einzuschätzen. Jaspers kannte die Wege, die Seitenwege und Umwege,

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