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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
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Leonhard, Jörn: Jörn Leonhard: Antrittsrede vom 24. Oktober 2015
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0327
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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

lebenslange Beschäftigung mit einem einzigen Gegenstand, so sehr ich auf diese
Arbeiten anderer angewiesen bin.
2006 erhielt ich einen Ruf nach Freiburg. Ich bin sicher, dass ich den Ruf nur
bekam, weil ich sicher war, ihn nicht zu erhalten, ging es in Freiburg doch um
einen Lehrstuhl für das Romanische Westeuropa unter expliziter Einbeziehung
Frankreichs. Aber obwohl Frankreich in meinen Arbeiten eine wichtige Rolle ge-
spielt hat und immer spielen wird: Ein ausgesprochener Frankreich-Kenner war
ich 2006 keinesfalls, und die wichtigste Phase nach der Dissertation hatte ich in
Oxford, nicht in Paris verbracht. Aber man entschied sich am Ende für Kopf statt
Passung, was mir einigen Eindruck machte und für mich bis heute ein Argument
für Freiburg geblieben ist, gelegentlichen Anfechtungen zum Trotz.
In Freiburg gelandet, blieb mir kaum Zeit, um die Routine des Lehrstuhlbe-
triebs einzuüben. Stattdessen erlaubte mir die Gründung der FRIAS-School of
History im Rahmen der Exzellenzinitiative seit 2007 zusammen mit Ulrich Her-
bert eine steile Lernkurve „in all matters academic and beyond“. Mein Fazit ist und
bleibt gespalten: Den positiven Erfahrungen, dass auch an einer deutschen Uni-
versität vieles in schneller Zeit möglich ist, der befruchtenden Zusammenarbeit
über Epochen, Methoden und Fachgrenzen hinweg, der konkret erlebten Inter-
nationalisierung, der sinnvollen Förderung von Personen im Gegensatz zu Struk-
turen, stand und steht das Problem der Ungleichzeitigkeit entgegen, die durch die
Exzellenzinitiative bei allen guten Wirkungen doch erheblich verschärft wurde:
also das Problem der verschiedenen Geschwindigkeiten von Normalbetrieb und
Exzellenzeinrichtungen, der daraus entstehenden Unwucht, aus der auch manche
Belastung für Kollegialität und Kommunität entstand, die am Ende - das lerne ich
immer wieder neu - doch eine der letzten verbliebenen Bindungen ist, die die
Universität zusammenhält.
Das Auslaufen des FRIAS in seiner 2007 gefundenen Form brachte mir per-
sönlich neue Freiheit: In einem langen, wunderbaren Jahr auf einer Forschungs-
professur am Minda de Gunzburg Center for European History der Harvard
University konnte ich meine Gesamtdarstellung des Ersten Weltkriegs abschlie-
ßen, in die viele Impulse und Gespräche mit den Fellows der zurückliegenden
Jahre einflossen. Das Buch war zudem eine Chance, der Balance zwischen stren-
ger Analyse und Erzählung für ein größeres Publikum nachzugehen und die mir
wichtigen Themen zu bündeln: die lange Dauer von historischen Prozessen, der
Erste Weltkrieg aus der Perspektive des 19. und nicht allein aus dem Rückblick
des 20. Jahrhunderts, die Krise des Liberalismus als Erbe des 19. Jahrhunderts im
Krieg, der Zusammenhang von Gewalt und Nationsbildung, das Schicksal der
multiethnischen Großreiche, die analytisch aufschließende Funktion von Spra-
che und Geschichte, die Verbindung von Vergleich, Transfer und Verflechtung,
die Öffnung der europäischen zur globalhistorischen Betrachtung, und schließlich
die Relation von Analyse und Erzählung. Es war ein großes Glück, ein ganzes Jahr

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