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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

DOI Kapitel:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Artikel:
Leonhard, Jörn: Jörn Leonhard: Antrittsrede vom 24. Oktober 2015
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0326
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Antrittsrede von Jörn Leonhard

der institutionalisierten Geselligkeit wie in den subtilen Regeln der Informalität als
Basis des akademischen Lebens.
Von den vielen Kontakten mit den Kollegen der Modern History Faculty hat
auch meine nächste Arbeit wesentlich profitiert, eine Untersuchung zum Zusam-
menhang zwischen Kriegserfahrungen und Nationskonzepten zwischen der Mitte
des 18. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg. Wiederum handelte es sich um ei-
ne Vierländerstudie, die durch die Einbeziehung der Vereinigten Staaten den euro-
päischen Vergleich zu einem transatlantischen zu erweitern suchte. Die Methode
blieb auf Sprache und Geschichte fokussiert, aber weniger im Sinne einer punk-
tuellen historischen Semantik, sondern als breitere Argumentationsgeschichte. So
steht „Bellizismus und Nation“ zwischen Reinhart Koselleck und John Pocock
mit seinem Begriff der „language“. Auch öffnete sich der Vergleich in dieser Arbeit
stärker als zuvor der Perspektive des Transfers und der Verflechtung, der „histoire
croisee“, die sich nicht als isolierte Versäulung von vier Fällen, sondern nur in den
dynamischen Interaktionen und Interferenzen erschließen lässt.
Volker Sellin hat Dissertation und Habilitation, die vielen Auslandsaufenthal-
te seines Schülers, unzählige Gutachten und zu viele Manuskriptseiten, mit Ge-
duld und Neugier, Liberalität und Anspruch ertragen. Und er hat auch zu Zeiten
zu diesen Unternehmungen geraten, sich für die europäische und darüber hinaus-
gehende Perspektive begeistern lassen und sie inspiriert, als in der Historikerzunft
komparative Mehrländerstudien als eher großes Risiko, Karrierehemmnis und je-
denfalls nicht durchführbar galten.
Ein Förderstipendium am Historischen Kolleg 2003/4 brachte nicht allein den
Abschluss der Habilitationsschrift und des Heidelberger Verfahrens, sondern auch
die Entscheidung, trotz Aussicht auf ein entfristetes Fellowship, Oxford zu verlas-
sen und nach Deutschland zurückzukehren. Es war, das sage ich jetzt ganz sicher
aus der im Ganzen glücklich gerahmten Retrospektive, eine richtige Entscheidung.
Kaum ein Jahr seitdem, in dem ich nicht einige Tage bei Freunden in Oxford bin,
die mich bis heute am ehesten davon abhalten, mit rückwärts gewandtem Kopf
vorwärts gehen zu wollen.
Kurz nach der Habilitation 2004 erhielt ich ein Angebot, auf eine der letz-
ten C2-Hochschuldozenturen der Republik an der Universität Jena zu wechseln.
Nicht nur, weil man die Dozentur mit dem ehrenvollen Titel einer Friedrich-
Schiller-Hochschuldozentur für europäische Geschichte ausstattete, ist die zwei
Jahre währende Zeit in Jena eine sehr gute gewesen. Dort habe ich mit einem
neuen größeren Vergleichsprojekt begonnen, einer Untersuchung zu den mul-
tiethnischen Großreichen des Britischen Empire, des Zarenreichs, der Habsbur-
germonarchie und des Osmanischen Reichs im langen 19. Jahrhundert, unter
bewusster Einbeziehung west- und osteuropäischer Fälle. Man erkennt wahr-
scheinlich aus diesen Projekten meine Tendenz für die „longue duree“ und im
Zweifel für breite Analysen und Synthesen. Das war und ist mir näher als die

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