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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2015
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Michaels, Axel: Kulturelles Erbe in Katastrophen: Nepal und seine Erdbeben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0078
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Axel Michaels
„Kulturelles Erbe in Katastrophen: Nepal und seine Erdbeben"
Gesamtsitzung am 24. Oktober 2015
Seit am 1. November 1756 in Portugal die Erde bebte, ist Lissabon zum Synonym
für Katastrophe geworden. Dabei geschah in dieser Stadt nicht die erste größere
und nicht die größte Katastrophe, die die Welt bis dahin erfasst hat. Wie sahen
die Reaktionen in anderen Teilen der Welt aus, besonders in Nepal, wo die Erde
in regelmäßigen Abständen bebt? Gab es dort auch so eine radikale Wende, eine
so traumatische Erfahrung? Welche Stellung nimmt die Theodizeefrage in einem
Umfeld ein, in dem wie in Indien auch Götter „sterblich“ sind und die Welt sich
zyklisch erneuert?
Das bestehende historisch-textuale Material zu Erdbeben in Nepal umfasst
im Wesentlichen vier Korpora: mythologische Texte, astralwissenschaftliche Texte,
Chroniken und Dokumente. Besonders die enzyklopädische Brhatsamhitä des
Varähamihira (505 — 587) hat Erklärungen von Erdbeben zusammengetragen.
Demnach sind riesige Tiere wie eine Monsterschildkröte, die die Erde trägt,
Winde, die miteinander kämpfen und dann auf die Erde fallen, die Sünden der
Menschen, ungünstige Sternkonstellationen oder zornige Götter oder Dämonen
ursächlich. Varähamihira hat diesen Mythos mit einer astralwissenschaftlichen
Theorie verbunden und so eine erste Seismologie entwickelt, die eine Typologie
nach Tageszeit, präsidierender Gottheit, Sternkonstellationen, Prognosen für
die Woche vor dem Erdbeben, Auswirkungen für die Bevölkerung, betroffenen
Gegenden und die Dauer umfasst.
Diese Texte sind aber zu allgemein, wenn sie ein jeweiliges Ereignis erklären
helfen sollen. Zudem ist nirgendwo eine Naturkatastrophe wie in Lissabon als
Wendepunkt oder Warnung der Götter an die Menschen verstanden worden.
Ähnlich verhält es sich bei den nepalischen Chroniken. Hier sind Ereignisse
genauer angegeben, aber abgesehen von einem ausführlicheren Erdbebenbericht
aus dem Jahr 1934 geben die dort enthaltenen Notizen keine tiefergehenden
Erklärungen oder Überlegungen.
Dies gilt auch für die außergewöhnlich zahlreichen vormodernen Dokumen-
te Nepals, denen sich die Forschungsstelle „Religions- und rechtsgeschichtliche
Quellen des vormodernen Nepal“ widmet. Das seltene historische Material wurde
unter anderem vom Nepal-German Manuscript Preservation Project der Deut-
schen Morgenländischen Gesellschaft verfilmt, aber nur ansatzweise und hand-
schriftlich katalogisiert. Es umfasst unter anderem Tempeldokumente (Erlasse,
Landschenkungen, Verträge, Stiftungsurkunden, Briefe etc.) und Rechtsdoku-
mente. Die Forschungsstelle erstellt einen Online-Katalog, der alle wesentlichen
Daten eines Zettelkatalogs und eine kurze Inhaltsangabe enthält. Dadurch ist es

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