Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2016
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Bruckner-Tuderman, Leena: Seltene Erkrankungen – eine facettenreiche Herausforderung für moderne molekulare Medizin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0042
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
II. Wissenschaftliche Vorträge

ner seltenen Erkrankung sehr ähnliche Probleme. Zu diesen gehören z. B. späte
oder keine Diagnose, unbekannte Ursache der Erkrankung, wenig Information,
wenige Spezialisten, keine Heilung, unklare Prognose, wenig Forschung. Dazu
kommt, dass Ärzte nicht alle seltenen Erkrankungen kennen können, und die Be-
handlung und Beratung sind oft nicht optimal. Dies führt zu Unsicherheit und zu
psychosozialer Belastung.
Mein klinischer und wissenschaftlicher Fokus liegt auf seltenen Erkrankun-
gen der Haut. Es gibt mehr als 300 solche Erkrankungen und schätzungsweise
mindestens 5.000 Betroffene in Deutschland, viele davon Kinder. Wegen ihrer
Sichtbarkeit sind die Erkrankungen der Haut besonders belastend und die Betrof-
fenen müssen oft negative Reaktionen ihrer Mitmenschen ertragen.
Die Forschung im Bereich der seltenen Erkrankungen beschäftigt sich mit
den molekularen Ursachen der Erkrankungen und Krankheitsmechanismen. Viele
ursächliche Gene sind schon identifiziert worden und neue werden fast wöchent-
lich entdeckt (2). Langsam beginnen auch die Krankheitsmechanismen klarer zu
werden. Eine unerwartete, positive Entwicklung in diesem Zusammenhang ist,
dass die Forschung an seltenen Erkrankungen auch bedeutsame neue Erkenntnisse
über ähnliche häufige Erkrankungen der Haut geliefert hat.
Die Universitätsmedizin stellt ein ideales Umfeld für die translationale For-
schung der seltenen Erkrankungen dar, wo Patientenversorgung, Diagnostik und
Forschung eng miteinander verbunden sind. Die innovative Diagnostik basiert auf
den modernsten molekulargenetischen, metabolischen und strukturellen DNA-,
Zell- und Gewebeanalysen. Die neuen „next generation sequencing“-Technologien
und die seit kurzem auch von der Krankenversicherung finanzierte Genpanel-Di-
agnostik hat die Diagnosestellung in vielen Bereichen deutlich beschleunigt. Aller-
dings ist hier der Bedarf an Bioinformatik noch ein Nadelöhr; in diesem Bereich
übersteigt die Nachfrage das Angebot deutlich.
Für die Entwicklung von wissenschaftlich begründeten Therapien, die den
Gendefekt korrigieren oder Krankheitssymptome wesentlich lindern können, sind
mehrere Strategien denkbar: Gentherapien, mRNA-basierte Therapien, Zellthe-
rapien oder pharmazeutisch wirksame Moleküle, s. g. repositionierte Medika-
mente, die schon für eine andere Indikation zugelassen sind. Unterstützt durch
verschiedene Forschungsprogramme weltweit, in der EU und national werden
Therapiestrategien für seltene Erkrankungen entwickelt und getestet. Vielverspre-
chende Beispiele sind die erste Gentherapie mit genetisch korrigierten Keratino-
zyten-Transplantaten bei Patienten mit Epidermolysis bullosa (3), eine neulich
begonnene Oligonukleotid-Therapie für die Muskeldystrophie SML (4) oder die
Symptom-lindernde Therapie für dystrophe Epidermolysis bullosa mittels Los-
artan, einem repositionierten Medikament (5). Alle drei Strategien befinden sich
zurzeit in klinischen Studien bei Patienten.

42
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften