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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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A. Das akademische Jahr 2017
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I. Jahresfeier am 20. Mai 2017
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Festvortrag von Angelos Chaniotis: „Mit den Göttern reden. Die Orakel-Täfelchen von Dodona“
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0028
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I. Jahresfeier am 20. Mai 2017

einer Tafel: „[Nimm] diese Tafel, jetzt“,21 auf einer anderen „Möge diese Tafel für
mich herauskommen“.22
Schon vor der Publikation des Corpus im Jahr 2013 war es klar, dass manche
Fragen nicht mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden konnten. In vielen Fällen
erwartete man einen konkreten Rat, meist den Namen von Göttern und Heroen,
an die man opfern sollte. Es war ferner bekannt, dass einige Täfelchen keine Fra-
gen, sondern Antworten enthielten.23 So ist z. B. der Satz „Sei zufrieden mit der
Vorhandenen“24 als Antwort auf die relativ gewöhnliche Frage „Soll ich mir eine an-
dere Frau nehmen?“ zu deuten.25 Heute haben wir aber eine viel größere Zahl von
Antworten: „Bring Dein Vermögen in Ordnung!“;26 „So ist es, in Ordnung“;27 „Du
bist nicht rein“;28 „Gute Geburt von Kindern; (opfere) an Demeter!“.29 Manchmal
wurden Frage und Antwort auf zwei Seiten der Tafel geschrieben: „Soll ich zu
Lande an einem Feldzug teilnehmen?“ - „Halte Dich auf dem Lande. Absolut!“30;
„Über die Sicherheit des Rhapsoden“ - „Unversehrt“.31 Wie und von wem aber
solche Antworten formuliert wurden, das war und bleibt ein Rätsel. Vermutlich
waren Propheten im Spiel.
Aber abgesehen von diesen eher technischen Aspekten zeigen die neuen Ta-
feln, dass die Kommunikation mit den Göttern mit komplexen Verhandlungen
verbunden war. Eine Frau fragt: „Wenn ich eine Weihung an Artemis aufstelle,
werde ich Erfolg (bei meinem Anliegen haben)?“.32 Welches Anliegen diese Frau
hatte, kannte nur sie und vermutlich Artemis. Die Frau wollte stricto sensu nicht
wissen, ob sie das bekommt, was sie sich wünschte; sie wollte wissen, ob sich ih-
re Investition lohnt. Ihre Sorge war, dass sie an Artemis etwas weiht und nichts
dafür bekommt - entweder weil nicht Artemis, sondern eine andere Gottheit ihr
helfen könnte, oder weil ihr Anliegen ohnehin aussichtslos war. Es geht also nicht
bloß um Voraussage der Zukunft. Diese Art von Verhandlungen zwischen Men-
schen und Göttern hängt mit einem fundamentalen Prinzip griechischer Religio-
sität zusammen: der Reziprozität.33 Die Weihungen waren keine bedingungslosen
Geschenke; sie waren die Gegenleistung für vollbrachte Leistungen der Götter.

21 DVC 2361B: oÖT{a}v vü[v].
22 DVC 3128: toütov poi töv KXäpov e^evOev.
23 DVC S. 21; Chaniotis 2016, 285-286 und 2018a.
24 Lhöte 2006, Nr. 32: rav eaaav arepyiv.
25 Z. B. DVC 1, 259a, 314a, 465b, 1912b.
26 DVC 2067A: [xpf|]para ev OeaOo.
27 DVC 2300: £\£i, KaXüc; £\£i.
28 DVC 2381A: ov KaOapoc;.
29 DVC 585: evtokig- Actpcrrpt.
30 DVC 107a-b: 107A: Erparevopai Kara yäi; -’Em yf|i : teXeoc;.
31 DVC 3051b: pa\|/oÖo[ü] aorripiac; - oaoc,.
32 DVC 541B: Aprctpi[Ti] £ ruxoipfiKa] htaaapeva.
33 Parker 1998.

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