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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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A. Das akademische Jahr 2017
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I. Jahresfeier am 20. Mai 2017
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Festvortrag von Angelos Chaniotis: „Mit den Göttern reden. Die Orakel-Täfelchen von Dodona“
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0027
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Festvortrag von Angelos Chaniotis

siert, sondern an unterschiedliche Götter, die offenbar in Dodona verehrt wurden,
u. a. Hestia (Herde), Themis (Brauch, gesetzte Ordnung) und Tyche (Glück). Es
ist ferner jetzt klar, dass die Antworten nicht allein durch die Geräusche der Blätter
der heiligen Eiche und dem Flugverhalten von Tauben gegeben wurden, sondern
durch Anwendung eines Losverfahrens.13 Die meisten Texte sind Fragen, die mit
„ja“ oder „nein“ beantwortet werden können, z. B. „Soll ich mir eine andere Frau
holen?“.14 Die Antwort, „ja“ oder „nein“ kann man zwar auch durch die Flug-
richtung einer Taube (rechts oder links) bestimmen, doch wissen wir nun, dass in
Dodona Kleromantie praktiziert wurde. Bisher wurde das Losverfahren nur durch
ein Fragment des Historikers Kallisthenes belegt.15 Man kann das Verfahren wie
folgt rekonstruieren. Die Pilger formulierten ihre Frage einmal positiv und einmal
negativ, z. B. „Ob ich in meiner Reise Glück habe? Hol diese Tafel raus!“.16 Manch-
mal formulierten sie keine Frage, sondern eine Antwort einmal positiv und einmal
negativ, z. B. „Ich werde den Prozess bezüglich des Sklaven nicht durchführen.
- Hol diese Tafel heraus!“.17 Jemand, wahrscheinlich ein Priester oder eine Pries-
terin, zog dann das Täfelchen, das die Antwort enthielt. Dieses Verfahren erklärt,
warum viele Täfelchen einen Sachverhalt negativ beschreiben, z. B. nicht „Werde
ich eine Tochter bekommen?“, sondern „Werde ich keine Tochter bekommen?“.
In diesen Fällen enthielt ein anderes, jetzt nicht mehr erhaltenes, Täfelchen die an-
dere Version. Eine neue Inschrift aus Apollonia in Illyrien (im heutigen Albanien),
die sicher einen Orakelspruch aus Dodona enthält, bezeugt jetzt, dass eine mantis
(Weissagerin) das Ergebnis des Losverfahrens bestätigte.18
Einige Texte enthalten Hinweise darauf, dass sie in der Tat im Losverfahren
veiwendet und als Los gezogen werden sollten: „Hol diese Tafel heraus“, „Hol he-
raus, diese Tafel, hier“;19 „Gott, Glück. Über das Kleid. Anagylla und Sibylla fragen
den Gott. Wenn sie mit ihrem Anliegen recht haben, dann möge diese Tafel ge-
winnen. Über das Kleid“.20 Dieses Verfahren war aber kein reiner Automatismus.
Wie wir sehen, gibt es Hinweise darauf, dass die Besucher dem Gott andeuteten,
welche Antwort sie sich wünschten. Dies ist wichtig. Solche Texte verraten den
Versuch der Kultteilnehmer, den Willen der Götter zu beeinflussen, mit den Göt-
tern zu verhandeln. Auf diesen Punkt komme ich gleich zurück. So lesen wir auf

13 Parker 2015.
14 Lhöte 2006, Nr. 34: e ctrepav äyopei.
15 Fragmente der griechischen Historiker 124 F 22, ed. Jacoby.
16 DVC 1148A: e riixoipi Ka rav hoÖov- tovtclv.
17 DVC 3132A: toü ävÖpanoÖor) ov rav öiicav ÖiKa^oüpai XiÖäpKac; QKA- tov[t]cxv.
18 Supplementum Epigraphicum Graecum LXIII 408: ct pccvr«; töv KXäp[ov] änayopeae („die Weis-
sagerin hat die Lostafel bestätigt“).
19 DVC 1170: roürov äveXerco; 2229: tovtcxv dveXe; 1410: raurctv dveXe; 2222A: tovtovl
20 DVC 4: ®eo<;- rvxa: Tvecpac;: AvdyvXXa XißvXXa: enepcoTOVTi röv Oeöv- al rä Ökaia paarevovu
ravrav vtKf|v- nepi 9f|pcrno.
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