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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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A. Das akademische Jahr 2017
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I. Jahresfeier am 20. Mai 2017
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Festvortrag von Angelos Chaniotis: „Mit den Göttern reden. Die Orakel-Täfelchen von Dodona“
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0023
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Festvortrag von Angelos Chaniotis

Festvortrag von Angelos Chaniotis
„Mit den Göttern reden. Die Orakel-Täfelchen von Dodona"
In der zweiten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. erklärte der satirische Autor Lukian die
Motivation von zwei Männern, einen neuen Kult zu gründen, wie folgt: „Sie ver-
standen, dass das menschliche Leben von zwei Tyrannen beherrscht wird: Hoff-
nung und Angst. Wenn man diese beiden für sich nutzen kann, wird man sich
schnell bereichern. ... Es ist wegen dieser beiden Tyrannen, Hoffnung und Angst,
dass Leute stets Heiligtümer besuchen und versuchen, die Zukunft vorauszusa-
gen; dafür opfern sie Hekatomben an die Götter und weihen Goldbarren“.1 Nichts
hat sich seit den Zeiten Lukians geändert. Einige Zukunftsprognosen - etwa Pro-
gnosen des Wirtschaftswachstums oder Voraussagen über künftige technologische
oder politische Entwicklungen - stützen sich zwar auf anspruchsvollere Methoden
als die Betrachtung der Sterne oder des Fluges von Vögeln, aber auch sie versagen
oft kläglich. Und die menschliche Erfindungskraft kennt keine Grenzen, wenn
es sich um die Entwicklung neuer Arten der Zukunftsdeutung geht, von der Be-
wegung der Sterne bis zum Kaffeesatz, von der Deutung von Zeichen auf den
Innereien von Opfertieren bis zur stundenlangen Beobachtung des stillen Wassers
und vom Losverfahren bis zur Handlesung. Der Krake Paul wurde 2010 durch die
Vorhersage der Ergebnisse von Fußballspielen berühmt, die Schlange Glykon, die
Versorakel im 2. Jh. n. Chr. in Kleinasien verteilte,2 war entfernter Vorfahre der
Orakeltiere, die neuerdings bei Weltmeisterschaften Karriere machen. Orakelbe-
fragungen lassen tief in die menschliche Seele blicken und dadurch auch darauf,
was Individuen und eine ganze Gesellschaft bewegt.
Orakelstätten waren im antiken Griechenland die wichtigsten Orte der Zu-
kunftsvorhersage und zwei unter ihnen waren besonders berühmt: das Heiligtum
des Apollon in Delphi und das noch ältere Heiligtum des Zeus in Dodona in Epi-
rus, in der nordwestlichen Peripherie der griechischen Welt. Bereits in der frü-
hesten literarischen Quelle, Homers Odyssee (14.327-329), genannt, hatte es eine
Ausstrahlung, die weit über die Region ging, in der er sich befand. Die frühen
Quellen sprechen von einer eigenartigen Art der Weissagung. Die lokalen Priester
ermittelten die Antworten des Zeus, indem sie das Rauschen einer heiligen Ei-
che und den Flug von Tauben deuteten.3 Archäologische Ausgrabungen haben die
Stelle bestimmt, an der sich der Baum befand, umgeben von einer Umfassungs-
mauer (Abb. 1). Ein kleines Gebäude war der Oikos, das Haus des Zeus.4

1 Lukian, Alexander oder der falsche Prophet 8.
2 Zu diesem Kult s. Miron 1996; Victor 1997; Sfameni Gasparro 1996 und 1999; Chaniotis
2002.
3 Odyssee 14.327-329; Herodot 2.54-57.
4 Mylonopoulos 2006.

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