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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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A. Das akademische Jahr 2017
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III. Veranstaltungen
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Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie“
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Dörner, Gerald: Gottes »Haußhalter« im Daseinskampf: der evangelische Pfarrer des 16. Jahrhunderts
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Grätz, Katharina: »Barbar des Geistes« oder »grosser Wohltäter«?: Lutherdeutungen in Nietzsches Texten
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0146
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III. Veranstaltungen

den Geistlichen als Aufgabe übertragen war. Viele Pfarrer übertrieben ihren Eifer
und beließen es nicht bei der seelsorgerlichen Ermahnung der Sünder in der Beich-
te, sondern sie machten die Namen der Sünder und ihr Vergehen (vielfach handelte
es sich dabei um Ehebruch) öffentlich auf der Kanzel in der Predigt oder an anderer
Stelle im Gottesdienst bekannt. Ja selbst der Verhängung des Kirchenbanns, der das
allerletzte Mittel sein sollte, weil er den Betreffenden vom Abendmahl ausschloss
und ihm beim Tod das christliche Begräbnis vorenthielt, lagen oft unlautere Mo-
tive zugrunde: Da konnten dann übertriebenes Amtsbewusstsein, pure geistliche
Herrschsucht oder auch schlichtweg Rache für die erlittenen Beleidigungen und
die ständig miese Zahlungsmoral der Gemeindeglieder mit hineinspielen.
Dr. Gerald Dörner studierte Geschichte und Theologie in Münster und Zürich. Von 1994
bis 2007 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle „Edition des Reuchlin-
BriefWechsels“. Seit 2008 ist er in der Forschungsstelle „Evangelische Kirchenordnungen des
16. Jahrhunderts“ tätig.
„»Barbar des Geistes« oder »grosser Wohltäter«?
Lutherdeutungen in Nietzsches Texten"
Mitarbeitervortrag von Prof. Dr. Katharina Grätz am 27. Juli 2017
Dass Nietzsche ein Querdenker war, der sich darauf verstand, Bekanntes auf un-
konventionelle Weise neu zu beleuchten und zu bewerten, zeigen nicht zuletzt sei-
ne Kommentare zur Reformation, auf die er Zeit seines Lebens immer wieder und
meist ablehnend zu sprechen kommt. Gleiches gilt für seine Stellungnahmen zu
Luther, mit dem er nicht gerade zimperlich umgeht. Zu beachten ist freilich, dass
Nietzsches Urteil nicht durchweg negativ ausfällt, sondern starke Schwankungen
aufweist. Seine Texte nähern sich dem historischen Luther aus unterschiedlichen
Perspektiven und liefern widersprüchliche, nicht selten polemisch zugespitzte
Wertungen.
Wie die beiden Nietzsche-Zitate aus dem Vortragstitel - „Barbar des Geis-
tes“ und „grosser Wohltäter“ - bereits andeuten, sind Nietzsches Äußerungen zu
Luther insgesamt recht heterogen; es finden sich darunter Zeugnisse der Wert-
schätzung, aber auch Schmähungen, die vor allem im späten Werk recht dras-
tisch daherkommen. Luther wird dort zum „unmögliche [n] Mönch“ oder zum
„rasende[n] Bauern-Feind“, der aber selber ein „wüster und uneigentlicher Bau-
er“ sei und „sich ein Pöbel- und Bauern-Christenthum“ zurechtgebastelt habe.
Unverkennbar fallen Nietzsches späte Äußerungen zu Luther aus dem Rahmen
des heutigen, aber auch aus dem Rahmen des zu damaliger Zeit vorherrschenden
Luther-Diskurses. Sie sind auf Provokation gebürstet und es ist nicht ihr Anliegen,
Luther historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

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