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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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A. Das akademische Jahr 2017
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Halfwassen, Jens: Warum ist die negative Theologie für monotheistische Religionen attraktiv?
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0038
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Jens Halfwassen
„Warum ist die negative Theologie für monotheistische Religionen
attraktiv?"*
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 28. April 2017
Negative Theologie spricht vom Absoluten in Verneinungen. Sie sagt, was das Ab-
solute nicht ist, aber nicht, was oder wie es ist. Sie entspringt der Einsicht, dass wir
das Absolute nicht durch Erkenntnis erreichen, die immer an den Unterschied
zwischen Erkennendem und Erkanntem gebunden ist, sondern nur durch diffe-
renzlose Vereinigung in der unio mystica.
Für monotheistische Religionen ist das höchst attraktiv. Das beweist die in-
tensive Rezeption der negativen Theologie in allen drei abrahamitischen Religi-
onen. Karl Rahner meinte, der Christ der Zukunft werde Mystiker sein oder er
werde nicht mehr sein. Ich bin davon überzeugt, dass Rahners Prognose für den
Islam und das Judentum ebenso zutrifft. Die monotheistischen Religionen werden
eine umso friedlichere Zukunft haben, je mehr sie sich auf ihre mystischen und
negativ-theologischen Traditionen besinnen. Denn diese sind zugleich die beste
Immunisierung gegen die schreckliche Regression des Fundamentalismus.
Dafür gibt es vier Gründe: Erstens liegt ein Keim negativer Theologie schon
in der monotheistischen Botschaft von der Einheit Gottes. Zweitens begründet
die philosophisch stärkste Variante der negativen Theologie, der antike Platonis-
mus, die Unerkennbarkeit des Absoluten nicht mit der Schwäche der menschli-
chen Vernunft, sondern mit der Transzendenz des Absoluten über alles Sein und
Erkennen. Drittens werden die abrahamitischen Religionen durch ihre Rezeption
des Platonismus so verwandelt, dass ihre dogmatischen Differenzen an Schärfe
verlieren. Daraus ergibt sich viertens, dass Jan Assmanns These von der „Mosai-
schen Unterscheidung“ als „Preis des Monotheismus“ relativiert werden muss.
Monotheismus ist die Botschaft von der Einheit Gottes. Doch kommt der
Gegensatz zwischen der Einheit Gottes und der Vielheit der Götter schon im Po-
lytheismus zum Austrag. Denn zu diesem gehört der Ordnungsgedanke eines Pan-
theons, einer Götterordnung, an deren Spitze ein einziger höchster Gott steht, der
in einem qualitativ anderen Sinne Gott ist als die übrigen Götter. Beispiele dafür
sind Zeus, der „Vater der Götter und Menschen“, Amun-Re oder Marduk. In vie-
len Mythologien gehen die Götter außerdem aus einem Ur-Gott hervor, der nur
ein einziger ist.
Dagegen bedeutet der Monotheismus etwas ganz Neues und Unerhörtes. Er
leugnet die Vereinbarkeit von göttlicher Einheit und Vielheit. „Es ist kein Gott

* Erstabdruck in der FAZ vom 15.03.2017 unter dem Titel „Platonischer Schiedsspruch im
Monotheismusstreit.“

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