Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017
— 2018
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0122
DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2017
DOI Kapitel:III. Veranstaltungen
DOI Artikel:Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2017 an das Ehepaar Jan und Aleida Assmann
DOI Artikel:Assmann, Jan: Das Kulturelle Gedächtnis zwischen Vergangenheit und Zukunft
DOI Artikel:Assmann, Aleida: Über Erinnerung und Wahrheit, Medien und Öffentlichkeit
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0122
- Schmutztitel
- Titelblatt
- 5-10 Inhaltsverzeichnis
- 11-176 A. Das akademische Jahr 2017
-
177-276
B. Die Forschungsvorhaben
- 177-178 I. Forschungsvorhaben und Arbeitsstellenleiter (Übersicht)
-
179-276
II. Tätigkeitsberichte (chronologisch)
- 179-182 1. Deutsche Inschriften des Mittelalters
- 183-186 2. Wörterbuch der altgaskognischen Urkundensprache (DAG)
- 186-191 3. Deutsches Rechtswörterbuch
- 191-193 4. Goethe-Wörterbuch (Tübingen)
- 193-197 5. Melanchthon-Briefwechsel
- 197-201 6. Altfranzösisches etymologisches Wörterbuch (DEAF)
- 201-206 7. Epigraphische Datenbank Heidelberg (EDH)
- 207-209 8. Evangelische Kirchenordnungen des 16.Jahrhunderts
- 210-214 9. Edition literarischer Keilschrifttexte aus Assur
- 214-220 10. Buddhistische Steininschriften in Nordchina
- 220-225 11. Geschichte der südwestdeutschen Hofmusik im 18.Jahrhundert (Schwetzingen)
- 225-236 12. The Role of Culture in Early Expansions of Humans (Frankfurt/Tübingen)
- 236-241 13. Nietzsche-Kommentar (Freiburg i.Br.)
- 241-245 14. Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle (Heidelberg/Dresden)
- 246-252 15. Der Tempel als Kanon der religiösen Literatur Ägyptens (Tübingen)
- 253-257 16. Kommentierung der Fragmente der griechischen Komödie (Freiburg i.Br.)
- 257-261 17. Kommentierung und Gesamtedition der Werke von Karl Jaspers sowieEdition der Briefe und des Nachlasses in Auswahl
- 261-266 18. Historisch-philologischer Kommentar zur Chronik des Johannes Malalas (Tübingen)
- 266-272 19. Religions- und rechtsgeschichtliche Quellen des vormodernen Nepal
- 272-276 20. Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550–1620)
-
277-355
C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
- 277-284 I. Die Preisträger
-
285-346
II. Das WIN-Kolleg
- 285-286 Aufgaben und Ziele des WIN-Kollegs
- 287 Verzeichnis der WIN-Kollegiaten
- 289-298 Fünfter Forschungsschwerpunkt „Neue Wege der Verflechtung von Natur- und Geisteswissenschaften“
-
299-346
Sechster Forschungsschwerpunkt„Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
- 299-301 3. Analyzing, Measuring and Forecasting Financial Risks by means of High-Frequency Data
- 302-305 4. Das menschliche Spiegelneuronensystem: Wie erfassen wir, was wir nicht messen können?
- 305-306 5. Geld, Gunst und Gnade. Die Monetarisierung der Politik im 12. und 13. Jahrhundert
- 306-308 6. Neogeographie einer Digitalen Erde: Geo-Informatik als methodische Brücke in der interdisziplinären Naturgefahren-analyse (NEOHAZ)
- 309-312 7. Quantifizierung in Politik und Recht am Beispiel von Wirtschaftssanktionen
- 313-317 8. Europäischer Datenschutz und Datentausch in der genetischen Forschung: interdisziplinäre Bedingungen und internationale Implikationen
- 317-321 9. Der „digital turn“ in den Altertumswissenschaften: Wahrnehmung – Dokumentation – Reflexion
- 322-325 10. Computergestützte Rechtslinguistik (CAL²) – Zu einer Digitalen Forschungs- und Experimentierplattform zur Analyse juristischer Semantik
- 325-327 11. Die Vermessung der Welt: Religiöse Deutung und empirische Quantifizierung im mittelalterlichen Europa
- 327-331 12. „Working Numbers“: Science and Contemporary Politics
- 331-338 13. Thermischer Komfort und Schmerz – Wechselwirkung zwischen Methode und Interpretation
- 338-342 14. Charakterisierung von durchströmten Gefäßen und der Hämodynamik mittels modell- und simulationsbasierter Fluss-MRI (CFD-MRI): Qualitative Analyse des Genauigkeitsgewinns der kombinierten Methode
- 342-345 15. Zählen und Erzählen. Spielräume und Korrelationen quantitativer und qualitativer Welterschließung im Spannungsfeld von wissenschaftlichem Objekt und Methode
- 345-346 16. Metaphern und Modelle – Zur Übersetzung von Wissen in Verstehen
- 347-355 III. Konferenzen
- 357-420 D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
- 421-437 E. Anhang
- 429-437 Personenregister
III. Veranstaltungen
und nicht mit gleichzeitigen aber vollkommen anders gelagerten Umbrüchen an-
derswo in einen Topf zu werfen.
Als kulturanalytische Sonde aber ist das Achsenzeit-Theorem ein vorzügliches
Instrument, das meine ägyptologische Arbeit begleitet und unendlich gefördert
hat. Wenn es mir ein Stück weit gelungen ist, aus der Ägyptologie eine Kulturwis-
senschaft zu machen, dann verdankt sich das der Jaspers’schen Sonde, die mich
von Anfang an dazu angeleitet hat, über aller philologischen und archäologischen
Kleinarbeit die kulturphilosophische Perspektive nicht ganz aus dem Auge zu ver-
lieren.
Aleida Assmann:
„Über Erinnerung und Wahrheit, Medien und Öffentlichkeit"
Wer in Heidelberg aufgewachsen ist, hat ein besonderes Verhältnis zu Karl Jas-
pers als Philosophen und Gelehrten. Hier wissen noch einige, dass er mit seiner
Frau in der Plöck gewohnt und nach dem Krieg diese Universität wieder aufge-
baut und nach drei Jahren wieder verlassen hat, weil er das allgemeine Klima des
Schweigens nach 1945 nicht aushielt. Obwohl ich ihn nicht selbst erlebt habe,
kannte und kenne ich einige, die bei ihm studiert haben: Dolf Sternberger, Hilde
Dornin, Erwin Palm und Helm Stierlin. Wir anderen können Jaspers jederzeit
in seinen Texten begegnen. Einen besonderen Eindruck hat auf mich die Rede
gemacht, die er anlässlich der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter
Paulskirche gehalten hat. Knapp 60 Jahre später nehme ich deshalb die Gelegen-
heit dieser Rede wahr, um Sie auf aktuelle Denkanstöße in jener Jaspers-Rede
aufmerksam zu machen. Mein erster Teil geht über „Erinnerung und Wahrheit“,
der zweite über „Medien und Öffentlichkeit“.
1. Erinnerung und Wahrheit
Ich zitiere Karl Jaspers, der für mich der Vordenker der deutschen Erinnerungs-
kultur ist:
„Bloße Natuiwesen vergessen und fangen von vorn an. Wir aber sind Men-
schen und werden nimmermehr wahrhaftig, wenn wir nicht vor Augen haben, was
getan wurde.“
Diese Worte hat er 1958, also 13 Jahre nach der sogenannten „Stunde Null“
und knapp zehn Jahre vor dem Buch der Mitscherlichs über die deutsche Unfähig-
keit zu Trauern ausgesprochen, mitten hinein in Adenauers Politik des Schlussstrichs
und das Klima des kollektiven Beschweigens der NS-Vergangenheit. Damals hör-
te die Geschichte in den Schulen mit dem Ende des Ersten Weltkriegs auf. Der
Zweite Weltkrieg war zu nah, alle hatten ihn in den Knochen, waren „tätowiert
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und nicht mit gleichzeitigen aber vollkommen anders gelagerten Umbrüchen an-
derswo in einen Topf zu werfen.
Als kulturanalytische Sonde aber ist das Achsenzeit-Theorem ein vorzügliches
Instrument, das meine ägyptologische Arbeit begleitet und unendlich gefördert
hat. Wenn es mir ein Stück weit gelungen ist, aus der Ägyptologie eine Kulturwis-
senschaft zu machen, dann verdankt sich das der Jaspers’schen Sonde, die mich
von Anfang an dazu angeleitet hat, über aller philologischen und archäologischen
Kleinarbeit die kulturphilosophische Perspektive nicht ganz aus dem Auge zu ver-
lieren.
Aleida Assmann:
„Über Erinnerung und Wahrheit, Medien und Öffentlichkeit"
Wer in Heidelberg aufgewachsen ist, hat ein besonderes Verhältnis zu Karl Jas-
pers als Philosophen und Gelehrten. Hier wissen noch einige, dass er mit seiner
Frau in der Plöck gewohnt und nach dem Krieg diese Universität wieder aufge-
baut und nach drei Jahren wieder verlassen hat, weil er das allgemeine Klima des
Schweigens nach 1945 nicht aushielt. Obwohl ich ihn nicht selbst erlebt habe,
kannte und kenne ich einige, die bei ihm studiert haben: Dolf Sternberger, Hilde
Dornin, Erwin Palm und Helm Stierlin. Wir anderen können Jaspers jederzeit
in seinen Texten begegnen. Einen besonderen Eindruck hat auf mich die Rede
gemacht, die er anlässlich der Verleihung des Friedenspreises in der Frankfurter
Paulskirche gehalten hat. Knapp 60 Jahre später nehme ich deshalb die Gelegen-
heit dieser Rede wahr, um Sie auf aktuelle Denkanstöße in jener Jaspers-Rede
aufmerksam zu machen. Mein erster Teil geht über „Erinnerung und Wahrheit“,
der zweite über „Medien und Öffentlichkeit“.
1. Erinnerung und Wahrheit
Ich zitiere Karl Jaspers, der für mich der Vordenker der deutschen Erinnerungs-
kultur ist:
„Bloße Natuiwesen vergessen und fangen von vorn an. Wir aber sind Men-
schen und werden nimmermehr wahrhaftig, wenn wir nicht vor Augen haben, was
getan wurde.“
Diese Worte hat er 1958, also 13 Jahre nach der sogenannten „Stunde Null“
und knapp zehn Jahre vor dem Buch der Mitscherlichs über die deutsche Unfähig-
keit zu Trauern ausgesprochen, mitten hinein in Adenauers Politik des Schlussstrichs
und das Klima des kollektiven Beschweigens der NS-Vergangenheit. Damals hör-
te die Geschichte in den Schulen mit dem Ende des Ersten Weltkriegs auf. Der
Zweite Weltkrieg war zu nah, alle hatten ihn in den Knochen, waren „tätowiert
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