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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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A. Das akademische Jahr 2017
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III. Veranstaltungen
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Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2017 an das Ehepaar Jan und Aleida Assmann
DOI Artikel:
Assmann, Jan: Das Kulturelle Gedächtnis zwischen Vergangenheit und Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0121
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Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2017 an Jan und Aleida Assmann

manchen Zügen dem Weltbild der Ägypter, die sich die Welt aus einem selbstent-
standenen Gott hervorgegangen dachten. Die Nähe von ägyptischem und mytho-
logisiertem platonischen Denken führte zur Entstehung einer gräko-ägyptischen
Literatur, die in Gestalt des Corpus Hermeticum und der Schrift des Jamblich
über die ägyptischen Mysterien das Abendland zutiefst beeinflusste. Spinoza, Les-
sing, Goethe, Herder, Hegel, Schelling, kurz der philosophische Pantheismus ist
ohne diese Tradition nicht zu denken. Dieses Lämpchen ist also mit der achsen-
zeitlichen Wende keineswegs erloschen.
Für Jaspers sind seine Kriterien der Achsenzeit zugleich Werte und Normen.
Er versteht seinen kritischen Apparat nicht als Sonde, sondern als Scheinwerfer,
der dem Gang der Geschichte den Weg weist. Das bedeutet, dass für ihn die Kul-
turen, bei denen die Sonde kaum reagiert, in tiefer Finsternis versinken. Das ist
der Punkt, der mich als Ägyptologen besonders herausfordert. Der Horizont un-
seres Verstehens, sagt Jaspers, reicht zurück bis zur Achsenzeit, weil erst dort die
Menschheit in China, Indien und dem Westen zu der Geistigkeit eiwachte, in der
auch wir leben und Denken. Außerhalb dieses räumlichen und zeitlichen Hori-
zonts dehnt sich ein unserem Verstehen verschlossenes Dunkel. Es gibt aber kei-
neswegs nur die eine Sonne, die in Griechenland aufging, oder die andere, die über
Israel schien und die keineswegs dieselbe war. Auch Altägypten war von seinem
eigenen kulturellen Licht beleuchtet. Immer wieder und keineswegs gleichzeitig
gingen mehr oder weniger helle Lichter auf in der globalen Kulturgeschichte und
öffnen vergangene Räume unserem Verstehen. Es gibt keine alte Kultur, bei der
alle Lämpchen der Achsenzeit-Sonde aufleuchten, ebenso wenig wie eine, bei der
sie alle dunkel bleiben.
Jaspers’ Sonde lässt sich aber auch umpolen. Dann leuchten Lämpchen auf
bei Kriterien der Nichtaxialität wie dem Analogiedenken, der Homologie von
Himmel und Erde, dem Kontinuum von Göttlichem und Weltlichen, kompak-
ten Begriffen wie dem ägyptischen Begriff der Ma’at, der zugleich Wahrheit, Ge-
rechtigkeit, Ordnung und Einklang umfasst, wie ähnlich persisches asa, indisches
dharma, chinesisches dao, sowie fehlende Reflexivität und logisches Denken, Tran-
szendenzlosigkeit bzw. Weltlichkeit usw. Man wäre zweifellos überrascht, wie oft
und wie viele Lämpchen lange nach der Achsenzeit und bis heute aufleuchten
würden.
Als Epochenbegriff sollten wir die Achsenzeit-Theorie verabschieden. Zwei-
fellos ist das fast gleichzeitige Auftreten von Konfuzius, Buddha, Deuterojesaja
und den Vörsokratikern ein erstaunliches Phänomen. Aber Zarathustra, den man
heute viel früher datiert, fällt aus dem Zeitfenster, ebenso wie Echnaton, und in
anderer Richtung Jesus; und was etwa Deuterojesaja mit Konfuzius, Buddha und
den Vörsokratikern (allenfalls Xenophanes) gemeinsam haben sollte, erscheint mir
sehr fraglich. Die alttestamentliche Bundestheologie ist ein Phänomen sui generis

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