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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2017
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Wolgast, Eike: Kirchenordnungen als kodifizierte Reformation: Bilanz eines Heidelberger Editionsvorhabens
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0093
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Eike Wolgast

und Theodosius. Das kirchenordnende Handeln der weltlichen Hoheitsträger eta-
blierte das landesherrliche Kirchenregiment, das Luther dadurch legitimierte, dass
er 1539 bei der zweiten Überarbeitung der Vorrede zum „Unterricht“ die Formu-
lierung, dass der Fürst „nach weltlicher Obrigkeit nicht schuldig“ sei, bischöfliche
Funktionen zu übernehmen, ersatzlos strich (WA 26, 197 Var. zu ZI. 26).
Seit dem späten 16. Jahrhundert haben sich Theologen wie David Pareus
(Heidelberg) und Johann Gerhard (Jena) sowie Juristen wie Hugo Grotius be-
müht, durch subtile Differenzierungen der Materie das kirchliche Proprium vor
der staatlichen Vereinnahmung zu bewahren oder es ihr durch genaue Grenzzie-
hungen wieder zu entwinden. Die zu diesem Zweck getroffene Unterscheidung
von „ius in sacra“ (Kompetenz der Kirche) und „ius circa sacra“ (Kompetenz der
weltlichen Obrigkeit) wie auch theoretische Konstrukte in Gestalt des Episkopalis-
mus, Territorialismus und Kollegialismus blieben aber ohne Entsprechung in der
realen Entwicklung, so dass Johann Jacob Moser 1772 das Fazit der Diskussionen
zog: „Das [...] seynd Schulfragen und gelehrte Zänkereien, die in der Praxis kei-
nen Nutzen haben.“
Die Kirchenordnungen dienten, um diesen Aspekt des Gesamtproblems noch
kurz vorzustellen, den staatlichen Amtsträgern auch sehr unmittelbar als Instru-
ment der „Sozialdisziplinierung“ (G. Oestreich). Dafür stehen nicht nur die Zucht-
ordnungen und Lasterkataloge, etwa in den Visitationsinstruktionen, sondern auch
die neuen Feiertagsregelungen, die nahezu in keiner Ordnung fehlten. Die Zahl
der Feiertage wurde auf durchschnittlich 20-22 pro Jahr reduziert; Ordnungen re-
formierter Obrigkeiten unterschieden sich von lutherischen Ordnungen durch die
fast völlige Beseitigung aller Feiertage. Hatte die Pfälzer Kirchenordnung des lu-
therischen Kurfürsten Ottheinrich 1556 noch 21 Feiertage enthalten, beschränkte
sich diejenige seines reformierten Nachfolgers Friedrichs III. von 1563 auf die fünf
Christusfeste (Geburt, Beschneidung, Auferstehung, Himmelfahrt und Pfings-
ten). Vorschriften zur Purifizierung der Kirchen durch Beseitigung der Bilder und
Nebenaltäre begegnen dagegen durchaus auch in lutherischen Ordnungen. Dage-
gen wurden die Unterschiede zwischen den beiden evangelischen Konfessionen
auch bei der Bestimmung der Lehrgrundlage deutlich: Einigkeit bestand bei den
Primärautoritäten: die Heilige Schrift, üblicherweise spezifiziert als die propheti-
schen und apostolischen Schriften, um damit das mosaische Gesetz auszuschlie-
ßen, sowie die drei altkirchlichen Symbola. Bei der Confessio Augustana betonten
lutherische Ordnungen in der zweiten Jahrhunderthälfte die ungeänderte Fassung
von 1530 als authentisch, während reformierte Ordnungen die CA nicht spezifi-
zierten, um sich die Berufung auf die Variata von 1540 offenzuhalten. Bei den Ka-
techismen wurden in reformierten Ordnungen statt der Texte von Luther, Brenz
oder anderen Verfassern der Heidelberger Katechismus genannt. Außerdem fehl-
ten in den reformierten Ordnungen prinzipiell die Schmalkaldischen Artikel Lu-
thers von 1537 wegen ihrer zugespitzten Abendmahlsformulierungen.

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