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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018 — 2019

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B. Die Mitglieder
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I. Antrittsreden
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Dabringhaus, Sabine: Antrittsrede vom 27. Oktober 2018
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https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0168
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B. Die Mitglieder

Der Mongole Song Yun gehörte zu den kaiserlichen Elitebeamten des späten 18.
und frühen 19. Jahrhunderts. Er prägte mit seinen Reformen in den 1790er Jahren
nicht nur die kaiserliche Verwaltung Tibets, sondern schrieb auch die erste chine-
sische Lokalchronik sowie einige kleinere Schriften über die - aus Sicht der Qing-
Kaiser - imperiale Grenzregion.
Meine Forschungen am Qing-Institut haben mich zwei wichtige Aspekte der
spätkaiserlichen Geschichte Chinas gelehrt:
Erstens, erfolgte die territoriale Expansion des Qing-Reiches im Kontext
der globalen Mächtekonkurrenz der Imperien, wie sie sich im 18. Jahrhundert in
Zentralasien zwischen dem British Empire, dem russischen Zarenreich und dem
Qing-Reich formierte. Qing-China war damals keineswegs das abgeschlossene
„Reich der Mitte“, das erst in den Opium-Kriegen von den Europäern aufgebro-
chen wurde, wie ich es noch während meines Sinologie-Studiums in Deutschland
gelernt hatte.
Zweitens, beruhte der Erfolg der Qing-Expansion darauf, dass das letzte Kai-
serhaus eben nicht han-chinesische Wurzeln hatte, sondern auf einem multiethni-
schen Bündnis der mandschurischen Hcrrschcrfamilie mit Chinas traditionellen
Grenzvölkern basierte. Aus dieser Einsicht haben Historikerinnen und Historikern
in den USA während der 1990er Jahre die „Neue Qing-Geschichte“ entwickelt.
Sie sieht China in der Qing-Zeit als Teil eines multiethnischen Mandschu-Impe-
riums und die Qing-Dynastie nicht allein als chinesische Dynastie.
Eine solche Akzentverschiebung stieß aufSeiten der chinesischen Geschichts-
wissenschaft auf heftige Ablehnung.
Noch stärker als zuvor in Shandong prägte mich freilich der historische Mo-
ment, der mich am Ende meiner Promotionsjahre in Beijing ereilte: Ich wurde
Zeugin der Ereignisse, die mit dem Tian’anmen-Massaker ihren dramatischen
Höhepunkt erreichten. Während viele von Ihnen das Jahr 1989 mit der erfolgrei-
chen Protestbewegung in der DDR und dem Fall der Berliner Mauer verbinden,
bedeutet es für mich den Einsatz von Soldaten und Panzern gegen demonstrie-
rende Studenten, die von einer breiten Stadtbevölkerung unterstützt wurden.
Die Folgen dieser Ereignisse hat China bis zum heutigen Tag nicht überwun-
den. Seit dem Amtsantritt von Xi Jinping erleben wir sogar eine fortschreitende
Einschränkung von Freiheitsrechten - gerade auch im Bereich der geisteswissen-
schaftlichen Forschung und Lehre.
Meine Promotion konnte ich im Sommer 1990 erfolgreich abschließen. Sie
wurde wenige Monate später in Deutschland nostrifiziert.
Sehr viel schwieriger war es, in Deutschland wieder akademisch Fuß zu fas-
sen. Erst die Überarbeitung und deutsche Veröffentlichung meiner chinesischen
Dissertationsschrift in einer der beiden deutschen sinologischen Fachreihen er-
möglichte den erfolgreichen Wiedereinstieg.

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