Antrittsrede von Sabine Dabringhaus
Gudula Linck war es auch, die mir als Examensthema eine Untersuchung der neu
erschlossenen ora/-/z/5tory-Quellen zum Boxeraufstand um 1900 vorschlug. Aus
diesem Grund reiste ich 1984 erstmals mit einem DAAD-Stipendium nach China
- genauer gesagt in die Provinz Shandong, wo ich an der Universität in Jinan bei
Professor Lu Yao studierte, einem der besten Kenner der Geschichte des Boxe-
raufstandes. Lu Yao hatte die oraZ-ZnVory-Befragungen in den Ursprungsgebieten
der Boxerbewegung geleitet und die Quellenmaterialien veröffentlicht, die später
meiner Magisterarbeit als Grundlage dienen sollten.
Allerdings hat mich auch der historische Moment geprägt, in dem ich erst-
mals nach China gekommen war: Nachdem Deng Xiaoping seine Reform- und
Öffnungspolitik Ende der 1970er Jahre auf dem Lande begonnen hatte, war sie
Mitte der achtziger Jahre auch in den Städten angekommen. In der konservativen
Provinz Shandong erlebte ich noch die Ausläufer der „Kampagne gegen geistige
Verschmutzung“ und sah, wie Verurteilte auf Lastwägen durch die Stadt gefahren
und später ihre Namen auf Plakaten rot durchgestrichen wurden.
Dennoch glaube ich im Rückblick, dass die chinesische Gesellschaft niemals
nach 1989 so offen und liberal war wie in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre.
Ich konnte der strengen Kontrolle im Ausländerwohnheim in die Familie ei-
nerjungen Geschichtsdozentin entfliehen, bei der ich so viel Zeit verbrachte, wie
es nur ging. Auf diese Weise habe ich sehr viel mehr über die chinesische Gesell-
schaft gelernt, als es mir der Frontalunterricht in der Universität bieten konnte.
Und es war auch nicht verwunderlich, dass nach dem ersten Studienjahr mein
Entschluss feststand, so schnell wie möglich nach China zurückzukehren.
Innerhalb eines Jahres schloss ich in Freiburg mein Magisterstudium ab. Er-
neut ebneten besondere Momente und Begegnungen den weiteren Weg:
Ein Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung und die Tatsache,
dass die chinesische Regierung erstmals Ausländern erlaubte, in der VR China
zu promovieren, ließen mich im Herbst 1986 tatsächlich wieder nach China auf-
brechen. Ein chinesischer Bekannter in Deutschland hatte mir den Kontakt zum
Institut für Qing-Geschichte an der Renmin-Universität in Beijing vermittelt.
Von 1986 bis 1990 studierte ich als erste ausländische Doktorandin - zusam-
men mit einer japanischen Kommilitonin - an einer chinesischen Hochschule.
Auch hier zeigte sich wieder, wie wichtig persönliche Begegnungen in einem aka-
demischen Werdegang sind: Die Japanerin hatte zwar den gleichen Doktorvater,
den in China berühmten Qing-Historiker Dai Yi, aber eine Mentorin, mit der
sie überhaupt nicht zurechtkam. Ich hingegen wurde Cheng Chongde anvertraut,
einem Experten für mongolische Geschichte. Er führte mich in die Welt des Viel-
völkerimperiums der Qing-Kaiser ein. Dessen Strukturen, Strategien und Ent-
wicklungen erforschte ich in den folgenden Jahren aus der Perspektive des hohen
Würdenträgers Song Yun.
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Gudula Linck war es auch, die mir als Examensthema eine Untersuchung der neu
erschlossenen ora/-/z/5tory-Quellen zum Boxeraufstand um 1900 vorschlug. Aus
diesem Grund reiste ich 1984 erstmals mit einem DAAD-Stipendium nach China
- genauer gesagt in die Provinz Shandong, wo ich an der Universität in Jinan bei
Professor Lu Yao studierte, einem der besten Kenner der Geschichte des Boxe-
raufstandes. Lu Yao hatte die oraZ-ZnVory-Befragungen in den Ursprungsgebieten
der Boxerbewegung geleitet und die Quellenmaterialien veröffentlicht, die später
meiner Magisterarbeit als Grundlage dienen sollten.
Allerdings hat mich auch der historische Moment geprägt, in dem ich erst-
mals nach China gekommen war: Nachdem Deng Xiaoping seine Reform- und
Öffnungspolitik Ende der 1970er Jahre auf dem Lande begonnen hatte, war sie
Mitte der achtziger Jahre auch in den Städten angekommen. In der konservativen
Provinz Shandong erlebte ich noch die Ausläufer der „Kampagne gegen geistige
Verschmutzung“ und sah, wie Verurteilte auf Lastwägen durch die Stadt gefahren
und später ihre Namen auf Plakaten rot durchgestrichen wurden.
Dennoch glaube ich im Rückblick, dass die chinesische Gesellschaft niemals
nach 1989 so offen und liberal war wie in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre.
Ich konnte der strengen Kontrolle im Ausländerwohnheim in die Familie ei-
nerjungen Geschichtsdozentin entfliehen, bei der ich so viel Zeit verbrachte, wie
es nur ging. Auf diese Weise habe ich sehr viel mehr über die chinesische Gesell-
schaft gelernt, als es mir der Frontalunterricht in der Universität bieten konnte.
Und es war auch nicht verwunderlich, dass nach dem ersten Studienjahr mein
Entschluss feststand, so schnell wie möglich nach China zurückzukehren.
Innerhalb eines Jahres schloss ich in Freiburg mein Magisterstudium ab. Er-
neut ebneten besondere Momente und Begegnungen den weiteren Weg:
Ein Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung und die Tatsache,
dass die chinesische Regierung erstmals Ausländern erlaubte, in der VR China
zu promovieren, ließen mich im Herbst 1986 tatsächlich wieder nach China auf-
brechen. Ein chinesischer Bekannter in Deutschland hatte mir den Kontakt zum
Institut für Qing-Geschichte an der Renmin-Universität in Beijing vermittelt.
Von 1986 bis 1990 studierte ich als erste ausländische Doktorandin - zusam-
men mit einer japanischen Kommilitonin - an einer chinesischen Hochschule.
Auch hier zeigte sich wieder, wie wichtig persönliche Begegnungen in einem aka-
demischen Werdegang sind: Die Japanerin hatte zwar den gleichen Doktorvater,
den in China berühmten Qing-Historiker Dai Yi, aber eine Mentorin, mit der
sie überhaupt nicht zurechtkam. Ich hingegen wurde Cheng Chongde anvertraut,
einem Experten für mongolische Geschichte. Er führte mich in die Welt des Viel-
völkerimperiums der Qing-Kaiser ein. Dessen Strukturen, Strategien und Ent-
wicklungen erforschte ich in den folgenden Jahren aus der Perspektive des hohen
Würdenträgers Song Yun.
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