Antrittsrede von Anna Wienhard
Anna Wienhard
Antrittsrede vom 27. Januar 2018
Liebe Mitglieder der Akademie,
Mathematik machte ich schon zu
Schulzeiten gern und auch ganz gut,
so dass es auf den ersten Blick nicht
erstaunlich ist, dass ich Mathematike-
rin geworden bin. Ganz so geradlinig
ist mein Weg aber nicht verlaufen. Ich
hatte viele verschiedene Interessen
und konnte mich lange nicht zwi-
schen Geisteswissenschaften und Na-
turwissenschaften entscheiden, selbst
mit der Juristerei liebäugelte ich.
Letztendlich schrieb ich mich, als ich 1995 in Bonn mit dem Studium begann,
sowohl für Mathematik — mit dem Abschlussziel Diplom — als auch für evangeli-
sche Theologie — mit dem Abschlussziel kirchliches Examen — ein. Während des
Studiums wurde dies ergänzt durch kleinere Abstecher in die Pädagogik und die
Philosophie. Die Theologie reizte mich aufgrund ihres vielseitigen Fächerspekt-
rums und das Doppelstudium erlaubte es mir, zwei sehr verschiedene Fächerkul-
turen kennenzulernen und vielfältige Erfahrungen zu machen.
Ich begann das Mathematikstudium mit Freude, aber ohne besonderen En-
thusiasmus. In der Theologie drängte es mich früh in die systematische Theologie.
Schnell war ich in die Arbeitsgruppe von Gerhard Sauter integriert und für ihn als
studentische Hilfskraft tätig. Die theologischen Pflichtpraktika absolvierte ich in
ärmlichen Regionen in Brasilien.
Das Gemeindepraktikum verbrachte ich - ganz passend - in dem Bun-
desstaat Espirito Santo (Heiliger Geist), in einer Gemeinde deren Mitglieder
überwiegend Kleinbauern waren, viele davon Nachfahren pommerscher Ein-
wanderer aus dem 19. Jh. Die aus der Heimat mitgebrachte lutherische Kirche
spielte noch immer eine zentrale Rolle. Der Pfarrer war die Autoritätsperson
in allen Angelegenheiten. Gottesdienste wurden zweisprachig, auf Portugiesisch
und im pommerschen Dialekt abgehalten. Siegmund Berger, der dortige Pfarrer,
hatte alleine acht, teilweise weit entfernt gelegene Dorfgemeinden zu versorgen.
Er nahm mich in seinem Haus auf und freute sich über meine Mitarbeit. Ich
durfte eigenständig zahlreiche Gottesdienste sowie eine Trauung und eine Beer-
digung halten. Das waren für mich als damals Zwanzigjährige Erfahrungen, die
ich in Deutschland auf diese Weise nicht hätte machen können und die ich nicht
missen möchte.
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Anna Wienhard
Antrittsrede vom 27. Januar 2018
Liebe Mitglieder der Akademie,
Mathematik machte ich schon zu
Schulzeiten gern und auch ganz gut,
so dass es auf den ersten Blick nicht
erstaunlich ist, dass ich Mathematike-
rin geworden bin. Ganz so geradlinig
ist mein Weg aber nicht verlaufen. Ich
hatte viele verschiedene Interessen
und konnte mich lange nicht zwi-
schen Geisteswissenschaften und Na-
turwissenschaften entscheiden, selbst
mit der Juristerei liebäugelte ich.
Letztendlich schrieb ich mich, als ich 1995 in Bonn mit dem Studium begann,
sowohl für Mathematik — mit dem Abschlussziel Diplom — als auch für evangeli-
sche Theologie — mit dem Abschlussziel kirchliches Examen — ein. Während des
Studiums wurde dies ergänzt durch kleinere Abstecher in die Pädagogik und die
Philosophie. Die Theologie reizte mich aufgrund ihres vielseitigen Fächerspekt-
rums und das Doppelstudium erlaubte es mir, zwei sehr verschiedene Fächerkul-
turen kennenzulernen und vielfältige Erfahrungen zu machen.
Ich begann das Mathematikstudium mit Freude, aber ohne besonderen En-
thusiasmus. In der Theologie drängte es mich früh in die systematische Theologie.
Schnell war ich in die Arbeitsgruppe von Gerhard Sauter integriert und für ihn als
studentische Hilfskraft tätig. Die theologischen Pflichtpraktika absolvierte ich in
ärmlichen Regionen in Brasilien.
Das Gemeindepraktikum verbrachte ich - ganz passend - in dem Bun-
desstaat Espirito Santo (Heiliger Geist), in einer Gemeinde deren Mitglieder
überwiegend Kleinbauern waren, viele davon Nachfahren pommerscher Ein-
wanderer aus dem 19. Jh. Die aus der Heimat mitgebrachte lutherische Kirche
spielte noch immer eine zentrale Rolle. Der Pfarrer war die Autoritätsperson
in allen Angelegenheiten. Gottesdienste wurden zweisprachig, auf Portugiesisch
und im pommerschen Dialekt abgehalten. Siegmund Berger, der dortige Pfarrer,
hatte alleine acht, teilweise weit entfernt gelegene Dorfgemeinden zu versorgen.
Er nahm mich in seinem Haus auf und freute sich über meine Mitarbeit. Ich
durfte eigenständig zahlreiche Gottesdienste sowie eine Trauung und eine Beer-
digung halten. Das waren für mich als damals Zwanzigjährige Erfahrungen, die
ich in Deutschland auf diese Weise nicht hätte machen können und die ich nicht
missen möchte.
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