Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie
Medizin seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer prominenter gewor-
den war, schien ihm für das eigene Fach unbrauchbar. Eigentlich verständigen kön-
ne man sich nur durch die „eingehende Schilderung des Einzelfalles“, hielt er in
seinen Notizen fest. Das neue Thema, das Jaspers mitsamt der Fälle, der Literatur
und der Grundthese von seinem eigentlichen Betreuer Karl Wilmanns übernahm,
eignete sich besonders gut für diesen Ansatz. Schon wegen der Vielfältigkeit der
Dokumentation waren die forensisch-psychiatrischen Akten der Heimwehkran-
ken die ideale Quellenbasis für das Verfassen von Fallgeschichten. Die Tatsache,
dass um 1900 Verbrechen aus Heimweh äußerst selten geworden waren, zwang
den Doktoranden, sich mit der vorhandenen Literatur und der Durchschlagskraft
der jeweiligen Darstellungsformen auseinanderzusetzen, rechtfertigte zugleich
aber auch die ausführliche Wiedergabe der eigenen Kasuistik. Was in dieser Ar-
beit nur implizit zum Ausdruck kam, wurde schon in der nächsten Arbeit zum
Eifersuchtswahn von 1910 explizit thematisiert: „Man kann sich in der Psychiatrie
nicht verständigen ohne die Schilderung einzelner Fälle. Diese sind die Ecksteine,
ohne die unsere Begriffsgebilde zusammenfallen“. Durch seine räsonierte Auf-
merksamkeit auf das Archiv und auf erschöpfende Krankengeschichten hat Jaspers
hier - wenn auch erst ansatzweise - jene neue biographische Methode skizziert,
die unentbehrlich für seine „verstehende Psychologie“ werden sollte. Eine psy-
chopathologische Frage könne nur im Hinblick auf das Ganze untersucht werden.
Deshalb müsse für die ausgesuchten Fälle möglichst alles erreichbare Material Zu-
sammentragen werden. Nur so könnten die veröffentlichten Fallgeschichten auch
nachhaltig von Wert sein.
Dr. Chantal Marazia studierte Philosophie und Wissenschaftsgeschichte in Italien und
Frankreich. Seit 2016 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf Im Rahmen der Karl-Jaspers-Gesamtausgabe ist sie Herausgeberin der medizi-
nischen Werke.
„Papier ist geduldig. Historische Dokumente aus Nepal"
Mitarbeitervortrag von Dr. Astrid Zotter am 11. Juli 2018
Geht es um Nepal, denkt man heute an den kleinen Flächenstaat zwischen Indien
und China, in dem sich der höchste Berg der Welt befindet. Historisch bezeich-
nete der Begriff aber allein das Kathmandu-Tal, wo sich früh urbane Strukturen
entwickelten. Erste Inschriften stammen aus dem 5. Jh., spätestens seit dem 7. Jh.
sind schon größere Tempelkomplexe belegt. Verschiedene Dynastien - u. a. die
Licchavis, Thakuris und Mallas - herrschten bis ins 18. Jh. über das fruchtbare
Tal. Auch anderswo auf dem späteren Staatsgebiet bestanden kleinere Königtümer.
Immer wieder gab es Versuche, diese zu größeren Territorien zu vereinen. Dies
gelang nachhaltig aber erst dem ambitionierten König von Gorkha, Prithvi Nara-
95
Medizin seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer prominenter gewor-
den war, schien ihm für das eigene Fach unbrauchbar. Eigentlich verständigen kön-
ne man sich nur durch die „eingehende Schilderung des Einzelfalles“, hielt er in
seinen Notizen fest. Das neue Thema, das Jaspers mitsamt der Fälle, der Literatur
und der Grundthese von seinem eigentlichen Betreuer Karl Wilmanns übernahm,
eignete sich besonders gut für diesen Ansatz. Schon wegen der Vielfältigkeit der
Dokumentation waren die forensisch-psychiatrischen Akten der Heimwehkran-
ken die ideale Quellenbasis für das Verfassen von Fallgeschichten. Die Tatsache,
dass um 1900 Verbrechen aus Heimweh äußerst selten geworden waren, zwang
den Doktoranden, sich mit der vorhandenen Literatur und der Durchschlagskraft
der jeweiligen Darstellungsformen auseinanderzusetzen, rechtfertigte zugleich
aber auch die ausführliche Wiedergabe der eigenen Kasuistik. Was in dieser Ar-
beit nur implizit zum Ausdruck kam, wurde schon in der nächsten Arbeit zum
Eifersuchtswahn von 1910 explizit thematisiert: „Man kann sich in der Psychiatrie
nicht verständigen ohne die Schilderung einzelner Fälle. Diese sind die Ecksteine,
ohne die unsere Begriffsgebilde zusammenfallen“. Durch seine räsonierte Auf-
merksamkeit auf das Archiv und auf erschöpfende Krankengeschichten hat Jaspers
hier - wenn auch erst ansatzweise - jene neue biographische Methode skizziert,
die unentbehrlich für seine „verstehende Psychologie“ werden sollte. Eine psy-
chopathologische Frage könne nur im Hinblick auf das Ganze untersucht werden.
Deshalb müsse für die ausgesuchten Fälle möglichst alles erreichbare Material Zu-
sammentragen werden. Nur so könnten die veröffentlichten Fallgeschichten auch
nachhaltig von Wert sein.
Dr. Chantal Marazia studierte Philosophie und Wissenschaftsgeschichte in Italien und
Frankreich. Seit 2016 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf Im Rahmen der Karl-Jaspers-Gesamtausgabe ist sie Herausgeberin der medizi-
nischen Werke.
„Papier ist geduldig. Historische Dokumente aus Nepal"
Mitarbeitervortrag von Dr. Astrid Zotter am 11. Juli 2018
Geht es um Nepal, denkt man heute an den kleinen Flächenstaat zwischen Indien
und China, in dem sich der höchste Berg der Welt befindet. Historisch bezeich-
nete der Begriff aber allein das Kathmandu-Tal, wo sich früh urbane Strukturen
entwickelten. Erste Inschriften stammen aus dem 5. Jh., spätestens seit dem 7. Jh.
sind schon größere Tempelkomplexe belegt. Verschiedene Dynastien - u. a. die
Licchavis, Thakuris und Mallas - herrschten bis ins 18. Jh. über das fruchtbare
Tal. Auch anderswo auf dem späteren Staatsgebiet bestanden kleinere Königtümer.
Immer wieder gab es Versuche, diese zu größeren Territorien zu vereinen. Dies
gelang nachhaltig aber erst dem ambitionierten König von Gorkha, Prithvi Nara-
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