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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018 — 2019

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A. Das akademische Jahr 2018
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Kirchhof, Paul: Der Dialog unter den Wissenschaften als Bedingung der Forschung
DOI Artikel:
Männlein-Robert, Irmgard: Die Tübinger Theosophie: vom Zufall der Überlieferung oder spätantike Orakel im Kontext
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0050
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II. Wissenschaftliche Vorträge

troffen. Der Mensch handelt frei, verhält sich gut oder schlecht, trifft richtige oder
falsche Entscheidungen, trägt individuelle Verantwortlichkeiten. Die Gemein-
schaft baut auf die Unterscheidung von Recht und Unrecht, Schuld und Sühne,
vorwerfbarem und nichtvorwerfbarem Tun.
Wir brauchen Wissenschaften, die nachhaltig die Natur erforschen, die in ihr
angelegten Heilmethoden und Techniken in den Dienst des Menschen stellen,
die Welt ergründen, verstehen und erklären. Diese Wissenschaften werden stets
nach dem Grundsätzlichen, Allgemeinen, Ursprünglichen um ihrer selbst willen
fragen, ihre Erkenntnis ständig in Frage stellen, ihre Handlungsempfehlungen auf
Verallgemeinerungsfähigkeit und Gemeinverträglichkeit überprüfen, die Maßstä-
be des Könnens und des Dürfens in Einklang halten. Hier bietet die Akademie
ein Forum, das naturwissenschaftliches Erfahren und geisteswissenschaftliches Er-
gründen im Dialog hält, der Wissenschaft in der Idee der Interdisziplinarität und
Weltoffenheit wieder ihre Grundsatzbedeutung zurückgibt, ständig das Erkennen
mehrt und dessen Anwendung mäßigt.
Irmgard Männlein-Robert
„Die Tübinger Theosophie: Vom Zufall der Überlieferung oder
spätantike Orakel im Kontext"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 20. Juli 2018
Die Tübinger Theosophie ist ein eigenwilliger Text aus der Spätantike, der als Exzerpt
aus byzantinischer Zeit überliefert wurde und dessen weltweit einzige, vollständig
erhaltene Abschrift heute in der Tübinger Universitätsbibliothek verwahrt wird
(Signatur Mb 27). Es handelt sich dabei um das handschriftliche Exemplar einer
Abschrift des Bernhard Haus aus dem Jahre 1580, die dieser in Durlach für sei-
nen Lehrer Martin Crusius aus einem Sammelcodex kopierte, der sich vorher in
der Bibliothek des Tübinger Gräzisten und Gelehrten Johannes Reuchlin befun-
den hatte. Die Vorlage der Abschrift des Haus war, mitsamt weiteren spätantiken
Texten, die zeittypische theologische Themen behandelten, in der Zeit des Basler
Konzils 1437 vom Dominikanerbischof Johannes von Ragusa von Konstantino-
pel nach Basel mitgebracht worden und gelangte von dort in den Besitz Johannes
Reuchlins. Die Spätrenaissance-Abschrift von Bernhard Haus ist heute in einen
Sammelcodex zusammen mit weiteren Abschriften aus einem anderen Reuchlin-
Kodex eingebunden und wird im Nachlass des berühmten Tübinger Gräzisten
und Latinisten Martin Crusius in der Tübinger Universitätsbibliothek verwahrt.
Die Benennung dieses Textes als „Tübinger“ Theosophie ist modern und bezieht sich
auf dessen modernen Aufbewahrungsort. Die noch maßgebliche wissenschaftli-
che Textausgabe ist von Hartmut Erbse (1941/21995) erstellt worden. Bernhard

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