II. Wissenschaftliche Vorträge
Axel Michaels
„Sklaverei in Nepal"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 26. Januar 2018
Am 28. November 1924 versammelte Premierminister Candra Samser die höhe-
ren Beamten und Militärs in der Mitte von Kathmandu und ließ den Palastguru
einen langen „Aufruf zur Befreiung von Sklaven und Abschaffung der Sklaverei
im Land“ verlesen. Er berief sich darauf, dass die hinduistische Tradition die Skla-
verei verurteilt habe (was so nicht stimmt, denn in Indien und Nepal hat es seit je
her Sklaverei gegeben); er schildert gefühlvoll die aussichtslose und verzweifelte
Perspektive der Sklaven und er rechnet detailliert vor, wie wenig sich das Halten
von Sklaven letztlich auszahlt. Schließlich kündigt er an, dass seine Regierung eine
Kompensation für jeden freigelassenen Sklaven zahlen werde.
Die Rede Candra Samsers war nur ein Aufruf („appeal“ im Englischen; spie,
„speach“ in der Nepäli-Fassung), vorsichtig gerichtet an Sklavenhalter und an
die internationale Öffentlichkeit, die dem Premierminister auch gleich für seinen
Schritt applaudierte. Die Frage aber, ob Candra Samser die Sklaverei aus morali-
schen Bedenken oder humanistischen Gründen aufgegeben hat, stellt sich etwas
anders, wenn man die politische Situation einbezieht. Denn 1923 hatte Candra
einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit den Briten geschlossen, in dem Ne-
pal im Unterschied zu den Kleinkönigtümern in Indien als unabhängige Nation
anerkannt wird. Damit war der Weg eröffnet, auch in die League of Nations, dem
Vorläufer der Vereinten Nationen, aufgenommen zu werden. Diese Institution
hatte 1924 eine Kommission zur Abschaffung der Sklaverei gebildet. Der fließend
Englisch sprechende Premierminister wusste davon und wollte wohl die League of
Nations beeindrucken. Am 25. September 1926 unterzeichnete schließlich Nepal
die League of Nations Convention on Slavery, die alle Unterzeichner verpflichtete,
den Sklavenhandel aufzugeben. Candra Samsers Aufruf hatte aber nicht die erhoff-
te Wirkung gezeigt, denn erst am 17. Juli 2000 wurde die letzte Form der Sklaverei
in Nepal gesetzlich abgeschafft.
Das Schicksal der eigentlichen Sklaven war in Nepal voll von bedauerns-
werten Umständen. Weibliche Sklaven wurden nicht selten sexuell missbraucht,
Kleinkinder, selbst Babys wurden den Eltern entrissen und verkauft, Gewaltan-
wendung war oft an der Tagesordnung, die Unterbringung und die Versorgung
waren auf ein Minimum reduziert. Sie mussten rund um die Uhr arbeiten, das
Land bestellen, Tiere hüten und Wasser oder Feuerholz holen. Kranke Sklaven
wurden verstoßen und mussten nicht zurückgenommen werden, wenn sie 45 Ta-
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Axel Michaels
„Sklaverei in Nepal"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 26. Januar 2018
Am 28. November 1924 versammelte Premierminister Candra Samser die höhe-
ren Beamten und Militärs in der Mitte von Kathmandu und ließ den Palastguru
einen langen „Aufruf zur Befreiung von Sklaven und Abschaffung der Sklaverei
im Land“ verlesen. Er berief sich darauf, dass die hinduistische Tradition die Skla-
verei verurteilt habe (was so nicht stimmt, denn in Indien und Nepal hat es seit je
her Sklaverei gegeben); er schildert gefühlvoll die aussichtslose und verzweifelte
Perspektive der Sklaven und er rechnet detailliert vor, wie wenig sich das Halten
von Sklaven letztlich auszahlt. Schließlich kündigt er an, dass seine Regierung eine
Kompensation für jeden freigelassenen Sklaven zahlen werde.
Die Rede Candra Samsers war nur ein Aufruf („appeal“ im Englischen; spie,
„speach“ in der Nepäli-Fassung), vorsichtig gerichtet an Sklavenhalter und an
die internationale Öffentlichkeit, die dem Premierminister auch gleich für seinen
Schritt applaudierte. Die Frage aber, ob Candra Samser die Sklaverei aus morali-
schen Bedenken oder humanistischen Gründen aufgegeben hat, stellt sich etwas
anders, wenn man die politische Situation einbezieht. Denn 1923 hatte Candra
einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit den Briten geschlossen, in dem Ne-
pal im Unterschied zu den Kleinkönigtümern in Indien als unabhängige Nation
anerkannt wird. Damit war der Weg eröffnet, auch in die League of Nations, dem
Vorläufer der Vereinten Nationen, aufgenommen zu werden. Diese Institution
hatte 1924 eine Kommission zur Abschaffung der Sklaverei gebildet. Der fließend
Englisch sprechende Premierminister wusste davon und wollte wohl die League of
Nations beeindrucken. Am 25. September 1926 unterzeichnete schließlich Nepal
die League of Nations Convention on Slavery, die alle Unterzeichner verpflichtete,
den Sklavenhandel aufzugeben. Candra Samsers Aufruf hatte aber nicht die erhoff-
te Wirkung gezeigt, denn erst am 17. Juli 2000 wurde die letzte Form der Sklaverei
in Nepal gesetzlich abgeschafft.
Das Schicksal der eigentlichen Sklaven war in Nepal voll von bedauerns-
werten Umständen. Weibliche Sklaven wurden nicht selten sexuell missbraucht,
Kleinkinder, selbst Babys wurden den Eltern entrissen und verkauft, Gewaltan-
wendung war oft an der Tagesordnung, die Unterbringung und die Versorgung
waren auf ein Minimum reduziert. Sie mussten rund um die Uhr arbeiten, das
Land bestellen, Tiere hüten und Wasser oder Feuerholz holen. Kranke Sklaven
wurden verstoßen und mussten nicht zurückgenommen werden, wenn sie 45 Ta-
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