Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018
— 2019
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https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0106
DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2018
DOI Kapitel:III. Veranstaltungen
DOI Artikel:Böhme, Hartmut: Zufall in der Geschichte – Geschichte des Zufalls
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0106
- Schmutztitel
- Titelblatt
- 5-10 Inhaltsverzeichnis
- 11-130 A. Das akademische Jahr 2018
- 131-216 B. Die Mitglieder
-
217-313
C. Die Forschungsvorhaben
- 217-218 I. Forschungsvorhaben und Arbeitsstellenleiter (Übersicht)
-
219-315
II.Tätigkeitsberichte (chronologisch)
- 219-222 1. Deutsche Inschriften des Mittelalters
- 223-227 2. Wörterbuch der altgaskognischen Urkundensprache (DAG)
- 227-232 3. Deutsches Rechtswörterbuch
- 232-235 4. Goethe-Wörterbuch (Tübingen)
- 235-238 5. Melanchthon-Briefwechsel
- 238-242 6. Altfranzösisches etymologisches Wörterbuch (DEAF)
- 242-248 7. Epigraphische Datenbank Heidelberg (EDH)
- 248-251 8. Edition literarischer Keilschrifttexte aus Assur
- 251-257 9. Buddhistische Steininschriften in Nordchina
- 258-263 10. Geschichte der südwestdeutschen Hofmusik im 18.Jahrhundert (Schwetzingen)
- 264-273 11. The Role of Culture in Early Expansions of Humans (Frankfurt/Tübingen)
- 273-277 12. Nietzsche-Kommentar (Freiburg i.Br.)
- 277-281 13. Klöster im Hochmittelalter: Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle (Heidelberg/Dresden)
- 281-287 14. Der Tempel als Kanon der religiösen Literatur Ägyptens (Tübingen)
- 288-293 15. Kommentierung der Fragmente der griechischen Komödie (Freiburg i.Br.)
- 294-297 16. Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (KJG)
- 297-302 17. Historisch-philologischer Kommentar zur Chronik des Johannes Malalas (Tübingen)
- 302-308 18. Religions- und rechtsgeschichtliche Quellen des vormodernen Nepal
- 309-315 19. Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550−1620)
-
317-379
D. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
- 317-328 I. Die Preisträger
-
329-379
II. Das WIN-Kolleg
- 329 Aufgaben und Ziele des WIN-Kollegs
- 330-331 Verzeichnis der WIN-Kollegiaten
- 332-343 Fünfter Forschungsschwerpunkt „Neue Wege der Verflechtung von Natur- und Geisteswissenschaften“
-
344-379
Sechster Forschungsschwerpunkt „Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
- 344-347 3. Analyzing, Measuring and Forecasting Financial Risks by means of High-Frequency Data
- 347-350 4. Das menschliche Spiegelneuronensystem: Wie erfassen wir, was wirnicht messen können?
- 351-353 5. Neogeographie einer Digitalen Erde: Geo-Informatik als methodische Brücke in der interdisziplinären Naturgefahren-analyse (NEOHAZ)
- 353-356 6. Quantifizierung in Politik und Recht am Beispiel von Wirtschaftssanktionen
- 356-360 7. Europäischer Datenschutz und Datenaustausch in der genetischen Forschung: interdisziplinäre Bedingungen und internationale Implikationen
- 361-365 8. CAL²Lab – Erkundung der Rechtssprache in einer computer-gestützten Forschungsumgebung
- 365-368 9. „Working Numbers“: Science and Contemporary Politics
- 369-373 10. Thermischer Komfort und Schmerz – Untersuchungen zur Dynamikder Schmerz- und Komfortwahrnehmung
- 373-376 11. Charakterisierung von durchströmten Gefäßen und der Hämo-dynamik mittels modell- und simulationsbasierter Fluss-MRI (CFD-MRI): Validierung der Wandschubspannungsberechnung undAnwendung auf medizinisches Einsatzgebiet
- 377-378 12. Zählen und Erzählen. Spielräume und Korrelationen quantitativer und qualitativer Welterschließung im Spannungsfeld von wissenschaftlichem Objekt und Methode
- 378-379 13. Metaphern und Modelle – Zur Übersetzung von Wissen in Verstehen
-
381-400
E. Anhang
-
381-384
I. Organe, Mitglieder und Institutionen
- 381 Vorstand und Geschäftsstelle
- 382 Personalrat
- 382 Union der deutschen Akademien der Wissenschaften
- 382 Vertreter der Akademie in Kommissionen der Union
- 382 Vertreter der Akademie in anderen wissenschaftlichen Institutionen
- 383-384 Verein zur Förderung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
- 385-407 Verzeichnis der Mitglieder
- 409-410 Akademiekolleg
-
381-384
I. Organe, Mitglieder und Institutionen
- 417-424 Personenregister
III. Veranstaltungen
„Zufall in der Geschichte - Geschichte des Zufalls"
Akademievorlesung von Prof. Dr. Hartmut Böhme am 12. November 2018
Aus der modernen Welt, aber auch aus der Natur ist der Zufall nicht mehr weg-
zudenken, ebenso wenig wie das Risiko und das Scheitern. Sie gehören zu den
Ordnungen, in denen wir uns einzurichten haben und die niemals mehr von
einer gesicherten Notwendigkeit sein werden. Doch zum Zufall gehört als sein
Komplement die Regel, zum Risiko die Sicherheit, zum Scheitern das Gelingen.
In dieser Ambiguität, in diesem Pendelschlag zwischen den Polen schwingt das
empfindliche Leben, das sich bis heute, immerhin, als erstaunlich robust erwie-
sen hat.
Im folgenden werden einige wenige Linien der Geschichte des Zufalls skiz-
ziert (die Forschung ist immens), die zeigen sollen, dass dieser Begriff - und
seine Entsprechungen in anderen Sprachen - ebenso eine der großen Beunruhi-
gungen und Ungewissheiten der Geschichte wie auch die Ermöglichungsbedin-
gung von Freiheit und Selbstbestimmung darstellt. Die Deutungslinien reichen
von der Antike bis zur heutigen Soziologie, von der Religion über die Philoso-
phie und Literatur bis zur Naturwissenschaft und zur postmodernen Lebenspra-
xis. Die überwältigende Vielfalt dessen, was als Zufall widerfährt und/oder als
Chance genutzt werden kann, reflektiert das Inkommensurable dieses Phäno-
mens. Das Chaotische des Zufalls in begriffliche Ordnungen einzufangen, ist ei-
ne der großen Kulturleistungen. Wir beginnen mit einem skulpturalen Beispiel,
der berühmten Plastik Agathe Tyche, die Goethe entwarf. Es folgen Stufen der
Entwicklung und Transformation von Tyche und Fortuna seit der antiken Re-
ligion und Philosophie. Die neuzeitlichen Entwürfe von Risiko, Scheitern und
Erfolg zeigen schon die Richtung an, die der Zufall in der funktional ausdiffe-
renzierten Moderne nehmen wird. Heute sind die Verflechtungen, die nicht nur
individuell, gesellschaftlich, staatlich und epistemisch im paradoxalen Verhältnis
von Risikoerfordernissen und Sicherheitsbedürfnissen angelegt sind, zu einem
Kernproblem von Gesellschaften geworden, die auf Kontingenz umgeschaltet
sind.
Goethes Skulptur „Agathe Tyche“
Alles entsteht und vergeht nach Gesetz; doch über des Menschen/Leben, dem
köstlichen Schatz, herrschet ein schwankendes Los.
(Goethe: Euphrosyne, 1797/98, MA VI. 1, 12)21
21 Zitiert nach Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Hg. v. Karl Richter u. a.
München 1985 ff. [Münchner Ausgabe = MA],
106
„Zufall in der Geschichte - Geschichte des Zufalls"
Akademievorlesung von Prof. Dr. Hartmut Böhme am 12. November 2018
Aus der modernen Welt, aber auch aus der Natur ist der Zufall nicht mehr weg-
zudenken, ebenso wenig wie das Risiko und das Scheitern. Sie gehören zu den
Ordnungen, in denen wir uns einzurichten haben und die niemals mehr von
einer gesicherten Notwendigkeit sein werden. Doch zum Zufall gehört als sein
Komplement die Regel, zum Risiko die Sicherheit, zum Scheitern das Gelingen.
In dieser Ambiguität, in diesem Pendelschlag zwischen den Polen schwingt das
empfindliche Leben, das sich bis heute, immerhin, als erstaunlich robust erwie-
sen hat.
Im folgenden werden einige wenige Linien der Geschichte des Zufalls skiz-
ziert (die Forschung ist immens), die zeigen sollen, dass dieser Begriff - und
seine Entsprechungen in anderen Sprachen - ebenso eine der großen Beunruhi-
gungen und Ungewissheiten der Geschichte wie auch die Ermöglichungsbedin-
gung von Freiheit und Selbstbestimmung darstellt. Die Deutungslinien reichen
von der Antike bis zur heutigen Soziologie, von der Religion über die Philoso-
phie und Literatur bis zur Naturwissenschaft und zur postmodernen Lebenspra-
xis. Die überwältigende Vielfalt dessen, was als Zufall widerfährt und/oder als
Chance genutzt werden kann, reflektiert das Inkommensurable dieses Phäno-
mens. Das Chaotische des Zufalls in begriffliche Ordnungen einzufangen, ist ei-
ne der großen Kulturleistungen. Wir beginnen mit einem skulpturalen Beispiel,
der berühmten Plastik Agathe Tyche, die Goethe entwarf. Es folgen Stufen der
Entwicklung und Transformation von Tyche und Fortuna seit der antiken Re-
ligion und Philosophie. Die neuzeitlichen Entwürfe von Risiko, Scheitern und
Erfolg zeigen schon die Richtung an, die der Zufall in der funktional ausdiffe-
renzierten Moderne nehmen wird. Heute sind die Verflechtungen, die nicht nur
individuell, gesellschaftlich, staatlich und epistemisch im paradoxalen Verhältnis
von Risikoerfordernissen und Sicherheitsbedürfnissen angelegt sind, zu einem
Kernproblem von Gesellschaften geworden, die auf Kontingenz umgeschaltet
sind.
Goethes Skulptur „Agathe Tyche“
Alles entsteht und vergeht nach Gesetz; doch über des Menschen/Leben, dem
köstlichen Schatz, herrschet ein schwankendes Los.
(Goethe: Euphrosyne, 1797/98, MA VI. 1, 12)21
21 Zitiert nach Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Hg. v. Karl Richter u. a.
München 1985 ff. [Münchner Ausgabe = MA],
106