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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018 — 2019

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2018
DOI Kapitel:
III. Veranstaltungen
DOI Artikel:
Böhme, Hartmut: Zufall in der Geschichte – Geschichte des Zufalls
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0107
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Heidelberger Akademievorlesung


Abb. 1 Goethe (inv.):
Der Stein des Guten
Glücks oder Altar der
Agathe Tyche. 1777,
Sandstein, Gartenhaus
an der Ilm, Weimar.

Der Zufall ist überall und er war schon immer; davon war Goethe überzeugt. Aber
auch seine Gegenspieler waren schon immer die Ordnung und das Gesetz - vom
Nomos des Kosmos bis zur Ordnung der symbolischen Welten. Sie sorgen für
Stabilität. Erst beides zusammen konstituiert, was für Goethe das geschichtliche
Leben, aber auch die Natur oder gar das Universum ist.
Deutlich wird dies durch die erste abstrakte Skulptur der Kunstgeschichte,
Goethes Agathe Tyche, AyaOtj Tvyr] (Abb. 1). Diesen Stein des Guten Glücks ließ der
28-jährige 1777 auf dem Grundstück seines Gartenhauses im Ilm-Park errichten
(Vgl. Heckscher 1962, 35 — 54; Böhme 2016, 213—240).
Was hatte Goethe zu seiner Skulptur angeregt? - Eine der frühen ikono-
graphischen Darstellungen des Formgegensatzes von Quader und Kugel ist das
Frontispiz (Abb. 2) des Liber de Sapiente (1510) von Charles de Bovelles (Carolus
Bovillus, 1479-1567).1
Fortuna sitzt, mit verbundenen Augen, instabil auf einer Kugel (sedes fortunae
rotunda), die auf einem schiefen Brett liegt. In der Linken hält sie die rota fortunae,
welche den ewigen Wechsel von Aufstieg und Absturz der Menschen in der irdi-
schen Welt symbolisiert. Ihr zu vertrauen ist insapiens, auch wenn die Augenbinde
sie der iustitia ähnlich zu machen scheint: Vor ihr sind alle gleich. Bei Fortuna aber
heißt dies: Aufstieg und Fall der Menschen sind ihr gleichgültig, sie kennt keine
Misericordia, die zusammen mit der Providentia die Vermögen des christlichen
Gottes sind, um die pagane Fortuna zu besiegen - so Boethius in De consolatione

1 Die Herausgabe des Liber de Sapiente durch Raymond Klibansky innerhalb von Cassirers
Werk trug wesentlich dazu bei, dass die Schrift nicht vergessen wurde. Cassirer 1927/1977,
299-412. Vgl. Gilbhard (2012), 54-64.

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