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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018 — 2019

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D. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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II. Das WIN-Kolleg
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Sechster Forschungsschwerpunkt „Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
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6. Quantifizierung in Politik und Recht am Beispiel von Wirtschaftssanktionen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0353
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D. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses

ab und vermitteln in der Folge eine „Scheingenauigkeit“.1 Zudem besteht ein Kon-
flikt unterschiedlicher Formalisierungen.2 Die Quantifizierung formalisiert und
reduziert einen Ausschnitt aus der Lebenswirklichkeit auf einen Zahlenwert. In
strukturell paralleler Weise formalisiert und reduziert das Recht die Lebenswirk-
lichkeit, indem sie nur bestimmte Tatbestandsmerkmale abfragt und dadurch die
Komplexität der Informationsgewinnung und -Verarbeitung reduziert.3 Aus die-
ser unterschiedlichen Formalisierung folgt eine grundsätzliche Inkompatibilität
von Quantifizierung und rechtlicher Wertung und Abwägung. Diese wissen-
schaftstheoretischen Überlegungen wurden in einem Beitrag für den gemeinsa-
men Sammelband „Messen und Verstehen in der Wissenschaft: Interdisziplinäre
Ansätze“ ausgearbeitet4 und flössen in die Habilitationsschrift „Staatenbezogene
Wirtschaftssanktionen zwischen Souveränität und Menschenrechtsschutz“ ein.
II. Prozeduralisierung als juristische Alternativstrategie
Als Alternative zur Komplexitätsbewältigung bietet sich der Gedanken der Pro-
zeduralisierung an. Auch unabhängig von der Frage der Quantifizierung hat das
Recht Probleme, die Komplexität staatenbezogener Sanktionen zu bewältigen und
in Verhältnismäßigkeitsbeziehungen abzubilden. Institutionell ist hier der Bogen
zu den Sanktionskomitees und zum internationalen Verwaltungsrecht geschlagen,
dem eine zentrale Rolle zum Schutz der Menschenrechte bei Sanktionen zu-
kommt.5
Dabei ist das Sekundärrecht der Europäischen Union von besonderem Inte-
resse. Zum einen setzt die Europäische Union die von den Vereinten Nationen
beschlossenen Sanktionen für ihre Mitgliedsstaaten, mit Bindungswirkung ge-
gen diese, um. Zum anderen handelt es sich bei der EU um den neben den USA

1 Führ, M., Ökonomische Effizienz und juristische Rationalität: Ein Beitrag zu den Grundla-
gen interdisziplinärer Verständigung, in: E. Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, 2001,
S. 157 ff., S. 166f; Meßerschmidt, K., Ökonomische Effizienz und juristische Verhältnismäßig-
keit, in E. Gawel (Hrsg.), Effizienz im Umweltrecht, Baden-Baden: Nomos, 2001, S. 230f.;
Petersen, N., Verhältnismäßigkeit als Rationalitätskontrolle: Eine rechtsempirische Studie ver-
fassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu den Freiheitsgrundrechten, 2015, S. 60.
2 Sunstein, C.R., The limits of quantification. California Law Review, 2014, 102, S. I369ff,
S. 1373 ff, S. 1376ff
3 Zum Modellcharakter des Tatbestandes aus mathematisch-informationstechnischer Sicht Fer-
rara, M. & Gaglioti, A, A Mathematical Model for the Quantitive Analysis of Law: Putting Le-
gal Values into Numbers, in: M. K. Jha, M. Lazard, A. Zaharim, & S. Kamaruzzaman (Hrsg.),
Applied Mathematics in electrical and Computer Engineering, 2012, S. 201 ff, 202.
4 Vdlta, M., Quantifizierung und Operationalisierung der Verhältnismäßigkeit von internatio-
nalen Wirtschaftssanktionen, in Schweiker/Hass/Novokhatko/Halbleib (Hrsg.), Messen und
Verstehen der Welt durch Wissenschaft, 2017, S. 107 — 118.
5 Conlon, The Humanitarian Mitigation of UN Sanctions, German Yearbook of In-ternational
Law 1996, 249 ff, 256 ff; Starck, Die Rechtmäßigkeit von U NO-Wirtschaftssanktionen, 2000,
S. 86ff.

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