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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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B. Die Mitglieder
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I. Antrittsreden
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Ewald Frie
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0200
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B. Die Mitglieder

chen nur maskierten. Die elf Kinder waren eine historische Einmaligkeit. Keine
einzige der seit dem Dreißigjährigen Krieg die Hofstelle Frye bewirtschaftende
Bauerngenerationen hatte je eine zweistellige Kinderzahl gehabt. Vernünftiger-
weise hatten sie sich auf die Sicherung der Hofesnachfolge beschränkt und daher
bei vier bis sechs Kindern Halt gemacht. Womöglich war die Generation meiner
Eltern die erste, bei der der im Kampf gegen Moderne und Nationalsozialismus
mächtig gewordene Katholizismus bis in die Schlafzimmer vordrang und dort das
Wissen um Empfängnisverhütung delegitimierte, bevor eine Generation später
einfache und überall diskutierte Lösungen die alten Machtverhältnisse zwischen
Religion und Lebenswelt wiederherstellten.
Das ist es, was mich an Geschichte als Wissenschaft fasziniert. Sie ist das ge-
naue Gegenteil von Traditionspflege. Ihre Antworten auf die Frage, warum wir
wurden, wie wir sind, sind beunruhigend, weil sie zeigen, wie wir auch hätten sein
bzw. werden können, wie unselbstverständlich unser Alltag ist. Sie handelt von den
Gebeten und Hoffnungen, dem Glück und Unglück, dem Sich-Durchwursteln
und Scheitern der Vielen an vielen Orten und Zeiten. Sie stellt sich der konzep-
tionellen Herausforderung der Gleichzeitigkeit des Gleichzeitigen, anstatt unsere
Gegenwart durch Verweis auf Ungleichzeitigkeiten zu immunisieren. Sie bedarf
hierfür empirischer Kenntnisse in allen Lebensbereichen und Theorieimporten
aus vielen Disziplinen. Wir verwenden sie skeptisch und eklektisch. Wir gelten
daher anders disziplinierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer als
ein wenig amateurhaft, auch, weil die Grenzen zwischen Geschichtswissenschaft
und außeruniversitärer Geschichtspraxis fließend sind.
Dieses Verständnis von Geschichtswissenschaft entstammt eher nicht meinem
Münsteraner Theologie- und Geschichtsstudium. Mit Ausnahme der Kirchenge-
schichtsvorlesungen von Arnold Angenendt betrieb ich es eher pflichtgemäß und
verlor mein Herz an Sport und Nebenjobs. Wichtiger war die frühe Einübung ins
selbständige Forschen auf der Grundlage eigenständiger Literaturrecherchen und
ungedruckter Quellen: Für meine Magisterarbeit sah ich Münsteraner Armen-
pflegeakten ein, für meine Dissertation Haufen von Fürsorgeakten und Gremi-
enprotokollen regionaler deutscher Verwaltungen, für meine Habilitationsschrift
Nachlässe, Parlamentsprotokolle und preußische Verwaltungsakten. Später habe
ich auch einmal australische Universitätsakten durchgeschaut. Wichtiger waren
auch Chefs, Kolleginnen und Kollegen in Münster, Düsseldorf, Essen und Trier,
von denen viele an der Grenze zwischen Geschichte und Soziologie operierten
und ihre Ideen und Theorien freimütig mit mir teilten.
Zu meiner Habilitation haben mir meine Geschwister ein rostiges Schwein
geschenkt, aufzustellen in jedem zukünftigen Büro. Ich sollte nicht vergessen,
woher ich kam. Nun, Themen wie Geschichte von Armut und Wohlfahrtsstaat -
lichkeit, Adelsgeschichte und auch Religionsgeschichte berühren meine Kind-
heitserfahrungen, ohne, so hoffe ich zumindest, davon dominiert zu sein. Ich mag

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