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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

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B. Die Mitglieder
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I. Antrittsreden
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Stiller, Christoph: Christoph Stiller: Antrittsrede vom 28. November 2020
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https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0082
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B. Die Mitglieder

Meine Studienzeit startete mit vielen Veränderungen. Das erste eigene Zim-
mer außerhalb der elterlichen Wohnung in einer WG mit einem Freund in einer
fremden Stadt und die Massenlehre mit mehr als 1.000 Studenten in meinem Se-
mester waren Herausforderungen. Durch die Erstsemestergruppe der Fachschaft
konnte ich erste Freunde finden und nach und nach erweiterte sich der Freun-
deskreis, so dass ich mich in der neuen Heimat wohl fühlte und immer selte-
ner am Wochenende zu meinen Eltern fuhr. Die erste Klausurzeit war allerdings
erstmal ernüchternd. In der Schule fielen mir Mathe und Naturwissenschaften
recht leicht und so war ich recht froh, dass Übungsveranstaltungen an der Uni
freiwillig waren. Da ich die Vorlesungen verstand, glaubte ich keinen Übungsbe-
darf zu haben. Selbstbewusst ging ich in die erste Klausur und scheiterte kläglich.
Auf die folgenden Klausuren bereitete ich mich mit Erfolg weniger auf Beweise
und Herleitungen als vielmehr auf das Einüben der Fähigkeit schnellen Aufga-
benrechnens vor. Wenngleich die Taktik zu besseren Klausurergebnissen führte,
enttäuschte mich das Konzept der universitären Lehre damals. Dafür lernte ich
kurz vor dem Vordiplom meine heutige Ehefrau kennen. Da sie Medizin studierte,
gehörten für mich auch Vorlesungen wie biomedizinische Technik zeitweise zum
Studienschwerpunkt. Das Interesse in dieser Richtung verflog aber wieder - die
Ehefrau blieb zum Glück langfristig.
Zur Diplomarbeit durfte ich mit einem Stipendium ein Auslandssemester an
der Universität Trondheim in Norwegen machen. Auch dies war eine spannende
Erfahrung. Insbesondere beeindruckte mich neben dem Land selbst die weit fort-
geschrittene Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Sehr anschaulich sieht
man deren Effekte an der hohen Frauenquote von 40 % in meinem Studienfach
Elektrotechnik. In Aachen lag sie damals bei etwas über 1 %, d. h. man kannte jede
Frau seines Semesters zumindest vom Sehen. An der Uni war besonders die gute
Betreuung für mich eine neue Erfahrung. Die Professoren hatten ihre Türen meist
offen und waren für Gespräche und Diskussionen bereit.
Nach dem Studium wollte ich eigentlich in die Industrie und hatte mich auch
schon fast entschieden, als ich von meinem damaligen Betreuer, Prof. Hans-Die-
ter Lüke, ein Angebot zur Promotion bekam und sofort annahm. Er hat maßgeb-
lich die Faszination für die Forschung in mir geweckt. So promovierte ich an der
RWTH Aachen über Bewegungsschätzung in Bildfolgen und hielt mich auch mental
öfter in großen mehrdimensionalen Gibbs-Markoff Zufallsfeldern auf Ein Proto-
typ eines Bildtelefons, das ich dabei mit einem Industriepartner mitaufbauen durf-
te, schaffte es auf die Hannover-Messe und mir wurde bewusst, dass Bildanalyse
ein unglaubliches Innovationsfeld werden würde. In der Promotionsphase hei-
rateten nicht nur meine Frau Susanne und ich, sondern auch unsere drei Kinder
wurden in dieser Zeit geboren. Auch wenn ich für meinen Sohn für eineinhalb
Jahre in Teilzeit arbeitete, was damals für Männer noch ungewöhnlicher war als

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