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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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Vortrag von Christoph Markschies

Dual „Antike und Christentum" - zu prägen und „wesentlich kleinteiliger als die
meisten seiner Zeitgenossen" die nämlichen Fragestellungen zu behandeln.38
Dölger (wie auch Adolf Harnack, den wir hier nicht ausführlich zum Ver-
gleich in den Blick nehmen können39) setzten ein normativ konstruiertes Chris-
tentum als statische Entität einer paganen Umwelt gegenüber, aber für Harnack
überfremdete die Umwelt das ursprüngliche „schlichte" Christentum Jesu von
Nazareth, während sich für Dölger das Christentum durch Ablehnung wie An-
passung inkulturierte und so „den Kampf gegen das Heidentum" ohne Verlust
seines Wesens bzw. Kerns bestand. Für Harnack ermöglichte - sehr vereinfachend
gesagt - erst die frühneuzeitliche reformatorische Bewegung in ihrer neuprotes-
tantischen Interpretation den Rückgang auf das ursprüngliche Wesen des Chris-
tentums; für den liberalen Katholiken Dölger blieb das sich in den Katholizismus
entwickelnde Christentum stets bei seinem Wesenskern.
Die pointierte Formulierung des Forschungsprogramms „Antike und Chris-
tentum" bei Dölger und ihr implizites Gegenmodell bei Harnack sind an einem
entscheidenden Punkte für die meisten anderen Behandlungen des Themas im
zwanzigsten Jahrhundert charakteristisch geblieben: In einem längeren Durch-
gang durch andere Interpretationen des Programms „Antike und Christentum"
im vergangenen zwanzigsten Jahrhundert könnte ich ausführlicher nachweisen,
dass diese Frage praktisch stets mit Grundannahmen über das „Wesen" des Chris-
tentums und das „Wesen" der Antike verbunden wurde. Immer wieder wurden
stabile und statische Entitäten als Ausgangspunkte für die Frage nach ihrem Ver-
hältnis postuliert.40 Unterschieden waren und sind die jeweiligen Entwürfe nur
darin, wo und wann die stabilen Entitäten verschmolzen oder verbunden werden
oder sonstwie miteinander reagieren. Vor allem zwei Probleme sind allen diesen
so unterschiedlichen Modellen gemeinsam: Alle diese Konzepte implizieren die
Gefahr, „Antike" und „Christentum" als zwei stabile und ursprünglich voneinan-
der unabhängige Entitäten zu isolieren; und alle genannten Konzepte sind durch
theologische Grundannahmen geprägt, die nur teilweise explizit gemacht wer-
den. Man kann mit gutem Grund sagen, dass die Tendenz zur Hypostasierung
des Christentums als Entität sich nicht zuletzt dem theologischen Interesse der

38 Georg Schöllgen, „Franz Joseph Dölger und die Entstehung seines Forschungsprogramms
,Antike und Christentum'," Jahrbuch für Antike und Christentum 36, 1993, (1-23) 1.

39 Dazu vgl. die ausführliche Publikation zum Thema. Einstweilen vgl. die Nachweise bei
Christoph Markschies, Hellenisierung des Christentums. Sinn und Unsinn einer histori-
schen Deutungskategorie, Theologische Literaturzeitung. Forum 25, Leipzig 2012, 49-58.

40 Ein solcher Überblick findet sich bei Gerhard May, „Das Konzept Antike und Christentum
in der Patristik von 1870 bis 1930," in: Patristique et antiquite tardive en Allemagne et en
France de 1870 ä 1930: influences et echanges; actes du Colloque Franco-Allemand de Chan-
tilly (25 - 27 octobre 1991), ed. par Jacques Fontaine, Reinhart Herzog et Karla Pollmann,
Collection des etudes augustiniennes. Serie Moyen Äge et temps modernes 27, Paris 1993,
(3-19) 5-7 für die theologischen Lexika beider Konfessionen.

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