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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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B. Die Mitglieder

Stroh eingebracht. Der Bauer hat uns die traditionelle und industrielle Feldwirt-
schaft mit ihren Vor- und Nachteilen während der Arbeit nähergebracht. Zudem
habe ich den Umgang mit chemisch hergestelltem Dünger und seine Vor- und
Nachteile erleben dürfen und die Gefahr aus der Natur für den kleinen Bauernhof
gesehen, wenn z. B. ein Fuchs eines meiner Hühner geholt hat oder die Spatzen
einen Teil der Getreidefelder leergeräumt haben.
In dieser Zeit war es noch unüblich, dass eine Mutter drei kleine Kinder allein
aufzieht und ich kannte nur ein Mädchen, welches etwas älter war als ich, das allei-
ne bei ihrem Vater groß geworden ist. Dieses Mädchen hatte ein Pferd bekommen
und erzählt, dass dies ihr Mutterersatz sei. Dies hat mich dazu gebracht jeden Tag
meiner Mutter zu erzählen, dass ich ein Pferd brauche und als ich neun Jahre alt
war, ist meine Mutter mit mir auf einen Pferdemarkt gefahren. Ich sollte mir ein
Pony aussuchen. Das Schimpfen meines großen Bruders, dass ein Pferd zu teuer
für uns sei, haben sowohl ich als auch meine Mutter offensichtlich überhört. Mei-
ne Grundschullehrerin hat meiner Mutter dann gesagt, dass ein Pony irgendwann
zu klein für mich wird und sie jemanden kennt, der Vollblutaraber züchtet. So kam
es, dass ich vor einem einjährigen Vollblutaraberhengst stand und meine Mutter
sagte: „Diesen oder kein Pferd". Ich wollte ein Pony und keinen wilden Hengst,
aber deshalb kein Pferd zu nehmen, kam für mich nicht in Frage. So bekam ich
diesen Hengst und mit diesem großen, wilden Tier hat sich mein Leben verändert.
Das Tier musste versorgt und eingeritten werden und ich konnte nicht einmal
reiten. Es brauchte Futter und ständig den Tierarzt, aber wir hatten kein Geld. So-
mit bestand meine Kindheit und Jugend aus vielen verschiedenen Jobs, viel Arbeit
auf dem Bauernhof und steilen Lernkurven durch die Zusammenarbeit mit dem
Pferd und dem Bauern, der die Situation, dass wir kein Geld für das Pferd hatten,
auch zu seinem Vorteil ausspielte. Wehe ich war nicht vor und direkt nach der
Schule da, um mich um die Tiere und Ernte zu kümmern. Es war ihm auch immer
wichtig, dass ich mitdenke, und somit habe ich die Natur und ihr Zusammen-
spiel mit der Produktion von Nahrungsmitteln für uns Menschen aufmerksam
beobachtet. Dies brachte mich dazu, früh viel Verantwortung zu tragen und hart
zu arbeiten und dabei durfte ich alles fragen und hinterfragen. Beim Schlachten
konnte ich nicht dabei sein, dazu waren mir die Tiere zu sehr ans Herz gewachsen.
Sobald sie tot waren habe ich beim Ausnehmen geholfen, mich für jedes Detail in-
teressiert und versucht, die Vorgänge des Sterbens zu verstehen. Die Kreisläufe des
Lebens haben mich seitdem beschäftigt und tun es auch noch heute. Das Leben
auf dem Bauernhof und das ständige Hinterfragen, ob unsere Landnutzung eine
Zukunft hat, hat mich dazu bewogen Biologie zu studieren. Im Studium der Bio-
logie an der Universität Göttingen haben mich die Prozesse und Funktionen von
biologischen und ökologischen Zusammenhängen interessiert. Ich habe vor allem
die Exkursionen genossen und wollte alle Pflanzenarten der Welt kennenlernen.
Glücklicherweise habe ich schon im Grundstudium Tutorenstellen bekommen

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