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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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6. Heterodoxien als Stabilitätsfaktoren

der Wahrheitsbeurteilung von Aussagen identifizieren und zeigen, dass diese so-
wohl bei allgemeinen Aussagen als auch bei selbstbezogenen Aussagen replizierbar
auftreten. Insbesondere eine Assoziation der Aktivität des dorsomedialen Präfron-
talen Cortex mit subjektiver Unsicherheit, die als Signatur des subjektiven epis-
temischen Risikos von Aussagen interpretiert werden kann, hat sich dabei als sehr
robust gezeigt.
In einer groß angelegten Online-Studie mit N=299 Teilnehmenden zu he-
terodoxen Überzeugungen konnten wir zwei Hauptbefunde feststellen. Zum
einen gibt es einen allgemeinen Faktor, der eine allgemeine Tendenz an hetero-
doxe Überzeugungen zu glauben über die verschiedenen untersuchten Domä-
nen Verschwörungstheorien (VT), Alternativmedizin (AM) und paranormale
Phänomene (PP) hinweg erfasst. Zum anderen wird die Tendenz zu heterodoxen
Überzeugungen für die einzelnen Aussagen durch die globale Unsicherheit in der
Stichprobe prädiziert. Ist die Wahrheitsbeurteilung einer Aussage - unabhängig
von der Richtung der Antwort - mit einer höheren Unsicherheit in der Stichpro-
be verbunden, so wird diese eher in eine heterodoxe Richtung beurteilt. Diese
Ergebnisse unserer modellbasierten Analyse sind in Abb. 1 dargestellt. Dabei ist
hervorzuheben, dass wir mit beachtenswert hoher Genauigkeit Antworttenden-
zen vorhersagen können (s. Abb. 1C,D) und das entwickelte Paradigma eine ho-
hen Zusammenhang mit dem, mit einem kurzen, etablierten Fragebogen erfassten,
Konstrukt Verschwörungsmentalität (Conspiracy Mentality Questionnaire; CMQ)
aufweist (Abb. IE).
Die Generierung der großen Zahl an Aussagen für das entwickelte Paradigma
wurde insbesondere auch durch den Fortschritt im philosophischen Projektteil er-
möglicht. Hier konnte eine Vielzahl typischer argumentativer Rechtfertigungsstra-
tegien für die verschiedenen heterodoxen Domänen logisch rekonstruiert und mit
konkreten Beispielen aus den sozialen Medien belegt werden. Emilio Lopez hat
diese Argumentationsmuster ausführlich auf unserer Tagung (s.u.) präsentieren
können. Sie lassen sich aufspalten in Strategien, die zum Ziel haben, orthodoxes
Wissen zu destabilisieren und Strategien, welche bezwecken, hetorodoxes Wissen
zu stabilisieren. Eine Auswahl dieser Argumentationsfiguren wird derzeit genutzt,
um in einer weiteren Online-Studie der Frage nachzugehen, ob die Präsentationen
von argumentativen Rechtfertigungsstrategien für Heterodoxien die Tendenz ver-
stärkt, heterodoxen Aussagen zuzustimmen. Die Online-Studie kann auf den Pool
heterodoxer Items aus der bereits erfolgten Studie aufbauen und sie zielführend
um die Ergebnisse des philosophischen Projektteils eiweitern. Erste Ergebnisse
können bereits im Frühjahr dieses Jahres erwartet werden.
Vom 15. bis zum 17.11.2023 fand in der Akademie unsere interdisziplinäre Ta-
gung zum Thema „Überzeugungskräfte. Strategien der Legitimierung und Plau-
sibilisierung heterodoxer Wissenschaft" statt. Aus unterschiedlichen Disziplinen
(Wissenschaftsgeschichte, Philosophie, Literaturwissenschaft, Medizin, Psycho-

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