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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Schmidt, Hans-Joachim: Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft - Institutionalität
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0202
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Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft – Institutionalität | 201
derung, die Bernhard von Clairvaux an all diejenigen richtete, die in den Verbindlichkeiten
des Lebens in der Stadt gefangen waren. ³
Bezeichnenderweise war es Joachim von Fiore, der in seinem Kommentar zur
Benediktregel die Freiheit der Mönche herausstellte, die eigentlich keiner Institution
bedürften, weil sie bereits in vollkommener Harmonie mit ihren Mitbrüdern
und mit dem Willen Gottes lebten. Es mag paradox erscheinen, dass Mönche, also
Christen, die den rigidesten Anforderungen an disziplinierter, regulierter und sogar
sanktionierter Lebensführung unterlagen, nach Meinung von Joachim von Fiore die
Promotoren der Entdisziplinierung, der De-Regulierung und der Entinstitutionaliserung
der Christenheit sein sollten. ⁴ Das ausgeprägte Elitenbewusstein der Mönche
machte eine Anbindung an Regeln, Gesetze, Institutionen und Befehle entbehrlich.
In ähnlicher Weise und nicht weniger chiliastisch aufgeladen stellte Otto von
Freising die Existenz der Mönche als Präfiguration der himmlischen Glückseligkeit
dar. Disziplin muss ihnen nicht auferlegt werden; sie wachen über sich selbst; falls
sie doch einer Schwäche verfallen sollten, bekennen sie demütig ihre Verfehlung,
die ihnen von den Mitbrüdern in gegenseitiger Liebe vergeben wird. ⁵ Liebe macht
Institution entbehrlich.
Die Ambivalenz von Zwang und Freiheit sind uns in den beiden Vorträgen dieser
Sektion gezeigt worden. Wenn Institution definiert werden kann als die durch
Normen verlangte Wiederholung von Verhalten, bedarf es der Medien, um über
unterschiedliche Zeiten und unterschiedliche Räume hinweg diese Wiederholung
zu gewährleisten. Ziel war dabei Uniformität des Verhaltens und Konformität an
die Normen. Ziel war nicht Originalität. Diese wurde anscheinend nur den Gründergestalten
zugestanden und auch noch den Reformern, die indes ihr innovatives
Anliegen unter den Leitgedanken der Uniformität und Konformität kaschieren
mussten. Abweichungen vom ursprünglichen Ideal waren vorgesehen, aber nicht
als Schaffung von Alternativen, sondern als Modifikationen an unterschiedliche
Umstände (Klima, Krankheit, Aufgaben, Not etc.). Neuerer waren verdächtig, sie
gaben sich als Erneuerer aus. Das Leben im Kloster kannte Differenzierungen, sowohl
innerhalb der einzelnen Gemeinschaft in der Form von Arbeitsteilungen und
darauf aufbauend einer Ämterorganisation als auch zwischen den Gemeinschaften
und den Orden, die unterschiedliche Aufgaben wahrnahmen. Weil es Aufgabenteilung
gab, musste sie koordiniert werden, was durch regulierte Beziehungen und
3 Bernard von Clairvaux, Opera, Bd. 2: Sermones super cantica canticorum: 36 – 86, hg. von Jean Leclercq/
Charles Hugh Talbot/Henri-Marie Rochais, Rom 1958, S. 112.
4 Joachim von Fiore, Opera omnia, Bd. 4,4: Tractatus in expositione vite et regule beati Benedicti, hg. von
Alexander Patschovsky (Fonti per la storia dell’Italia medievale. Antiquitates 29), Rom 2008.
5 Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, hg. von Adolf Hofmeister (MGH Scriptores
rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 45), Hannover 1912, S. 456 f.
 
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