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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Schmidt, Hans-Joachim: Kommentar zur Sektion Individuum und Gemeinschaft - Institutionalität
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0201
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200 | Hans-Joachim Schmidt
Nichtsdestotrotz bot das Neue Testament durchaus Anknüpfungen für ein monastisches
Leben. Es ging um die Flucht in die Wüste und das sich Absondern von
den Menschen, um das Streben nach größerer Vollkommenheit, das nur wenigen
vorbehalten sei (Matt. 4, 1–11; Mk. 1, 12–13; Luk. 4, 1–13), um die Nachfolge Jesu,
die den Aposteln und Jüngern aufgetragen war (Matt., 4, 18 –21; Mk. 1, 16 –20; Luk.
5, 1–11), der Verzicht auf Eigentum (Matt. 6, 19 –21; 19, 16 –19; Mark. 10, 17–31;
Luk. 12, 33 –34; 18, 18 –30), die Abwendung von der Familie (Matt. 10, 34 –39;
Luk. 12, 51–53; Luk. 14, 26 –27), vor allem aber um ein gemeinschaftliches Leben,
das Menschen vereinigte, die »ein Herz und eine Seele« seien und ihre Güter miteinander
teilten, wie es die Apostelgeschichte von den frühen Christengemeinden
berichtete (Ap. 2, 42– 46).
Bedurften aber solche Gemeinschaften einer Reglementierung, einer Institution,
einer Disziplin? Die Antwort war eindeutig ja: Eine Fülle von Regeln sind im Laufe
der Geschichte geschaffen worden, die Handlungen und ihre zeitliche Abfolge in
ein Programm pressten, das Abweichungen nur dann duldete, wenn sie von einer
institutionalisierten Instanz des Befehlens, also üblicherweise des Abtes, des Priors
oder – bei institutionalisierten Ordensverbänden – des Generaloberen und des Generalkapitels,
gebilligt wurden. Abweichungen vom verlangten Verhalten wurden
bestraft. Die Brutalisierung der Lebensordnung, wie sie Kolumban (der Jüngere)
in seinen Klöstern vorsah, ² war durchaus konsequent, gleichwohl nicht zukunftsträchtig,
da die seit dem beginnenden 9. Jahrhundert im okzidentalen Europa vorgesehene
Standardregel, die von Benedikt von Nursia, Adaptationen an klimatische
und regionale Bedingungen des jeweiligen Klosters und an körperliche Beschaffenheiten
des Mönches vorsah und die Strenge von Strafen milderte, ohne freilich die
Machtfülle des Abtes abzuschwächen. Weil die Differenzierung des Ordenswesens
seit dem 12. Jahrhundert Aufgaben spezialisierte (in den Hospitalorden, Ritterorden,
Seelsorgeorden, Orden zum Loskauf von Gefangenen, genuinen Frauenorden
u. a.), musste die individuelle freiwillige Opferbereitschaft mit den Erfordernissen
der sozialen Funktionen kombiniert werden, welche außerhalb des Klosterbereichs
verwiesen. Gleichwohl, die Androhung und Anwendung von Strafen, das Einkerkern,
die Rationierung der Speise, der zeitweilige Ausschluss aus der konventualen
Gemeinschaft blieben Mittel, um die institutionelle Konformität sicherzustellen.
Gleichwohl, Klöster waren auch die Orte der Freiheit, weil sie die Orte waren,
an denen Menschen sich von den Pflichten und Zwängen entfernen konnten, die als
Üblichkeiten im Sinne von Odo Marquard Verhalten einbahnten. Die Alternative,
die das Kloster bot, war eine Herausforderung. Exite de Babilone war die Auffor-
2 Adalbert de Vogüé, Saint Columban, Régles et pénitentiels monastiques, Bellefontaine 1989.
 
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