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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0221
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220 | Sita Steckel
Eucharistie buchstäblich alle Christen anging und ein für die Seelsorge wichtiges
und gleichzeitig höchst diffiziles Thema war. Nicht zuletzt dürften die Diskussionen
aber auch von der Angst befeuert gewesen sein, dass Zweifel an der Realität
der Eucharistie zu einer Geringschätzung des darin liegenden Sakraments führen
könnten – ähnlich wie dies bei einigen der seit der Jahrtausendwende vermehrt
auftretenden häretischen Gruppen konstatiert wurde. ³²
Gleich zu Anfang des hauptsächlich mit Gott befassten ersten Buches wird zudem
der Hervorgang des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn (filioque) erwähnt. ³³
Dies war einer der Streitpunkte zwischen römisch-lateinischer und byzantinischorthodoxer
Kirche, die im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und
Rom im 11. Jahrhundert neu aufgelegt wurden. ³⁴ In der Diskussion von Erbsünde
und Heilsplan wird schließlich die Frage angeschnitten, warum Christus als Mensch
inkarniert wurde und nicht als Prophet oder Engel zur Rettung der Menschen
auftrat, was auf die sich intensivierende Polemik zwischen Christen, Juden und
Muslimen verweist. ³⁵ In den im Elucidarum behandelten Fragen lassen sich also
immer wieder Kontroversen identifizieren, die sich im 11. Jahrhundert aus neuen
kommunikativen Verdichtungen ergeben hatten und die in einer situativ entstehenden,
teils überregionalen Debattenöffentlichkeit Resonanzraum gewannen. ³⁶
Auf der Basis sozioökonomischen Aufschwungs traten neue, an Religiosität interessierte
und genauso stiftungs- wie reformfreudige adelige Eliten etablierten politischen
Führungsgruppen entgegen, verbündeten oder verfeindeten sich, während
sich gleichzeitig mit neuen Kontakten zum Mittelmeerraum wie nach Nord- und
Osteuropa viele Konfliktlinien ergaben. In Aufnahme verschiedener Ansätze zur
Religionsgeschichte und Religionssoziologie kann man diese Prozesse theoretisch
als Neuordnung des religiösen und intellektuellen Feldes in der lateinischen Christenheit
fassen. ³⁷
32 Vgl. Malcolm Lambert, Medieval Heresy. Popular Movements from the Gegorian Reform to the Reformation,
3. Aufl. Malden, Ma./Oxford 2002, hier S. 3–52; Moore, The War on Heresy (wie Anm. 30), S. 13–71.
33 Vgl. Honorius Augustodunensis, Elucidarium (wie Anm. 19), lib. I, cap. 6, S. 362.
34 Vgl. Bernd Oberdorfer, Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems, Göttingen
2001, S. 165 –234.
35 Vgl. Honorius Augustodunensis, Elucidarium (wie Anm. 19), lib. I, cap. 116 –120, S. 382–383. Zur religiösen
Polemik in dieser Zeit Anna Sapir Abulafia, Christians and Jews in Dispute: Disputational Literature
and the Rise of Anti-Judaism in the West (c. 1000 –1150) (Collected Studies Series 621), Ashgate
1998; Christoph Auffarth, Die Anbetung Mohammeds. Bilder von den Muslimen im europäischen
Mittelalter, in: Religiöser Pluralismus im Mittelalter? Besichtigung einer Epoche der Europäischen Religionsgeschichte,
hg. von dems. (Religionen in der pluralen Welt 1), Münster 2007, S. 79 –102.
36 Vgl. zur Rolle des Investiturstreits für hochmittelalterliche Kommunikationsstrukturen ausführlich Leidulf
Melve, Inventing the Public Sphere. The Public Debate during the Investiture Contest (c. 1030 –
1122), 2 Bde. (Brill’s Studies in Intellectual History 154), Leiden/Boston 2007.
37 Vgl. Pierre Bourdieu, Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgeschehens (Édition Discours
11), Konstanz 2000; zur Operationalisierung Astrid Reuter, Charting the Boundaries of the Religious
 
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