Metadaten

Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

DOI Artikel:
Steckel, Sita: Deuten, Ordnen und Aneignen: Mechanismen der Innovation in der Erstellung hochmittelalterlicher Wissenskompendien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0222
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Deuten, Ordnen und Aneignen | 221
Derartige Verschiebungen erscheinen als wichtiger Erklärungshintergrund für
den Erfolg des Honorius Augustodunensis. Sie durchkreuzen eine naive Vorstellung
von »Innovationen« als guten Ideen, die sich wegen ihres Erfolges überregional
durchsetzen. Honorius’ Erfolg kam keineswegs allein dadurch zustande, dass er
»besseres« oder neues Wissen anzubieten hatte. Man hatte im Gegenteil einen breiten,
überregional gegebenen Bedarf für die Lösungen, die er anbot – Fragen nach
der Reinheit der Priester, der Wirklichkeit der Eucharistie oder der Inkarnation
Christi wurden im ganzen lateinischen Europa und an seinen Grenzen diskutiert.
Eher erwies sich die von Honorius gebotene einfache, leicht vermittelbare Form
als überlegen und machte eine breite Rezeption möglich – denn Antworten auf
die Fragen und Probleme hätte es anderswo in Europa auch in abstrakterer oder
gelehrterer, genauer argumentierender Form gegeben. Der Inhalt der Werke des
Honorius dürfte seinen Erfolg jedoch in einer anderen Weise begründen: Honorius’
gewissermaßen »lokale« Theologie erwies sich als überregional nutzbar, da sie
Interessen entsprach, die im Hochmittelalter überregional vertreten wurden – diejenigen
der reformorientierten geistlichen Eliten, die im Zusammenhang mit dem
Reformpapsttum standen.
Ihr Bedarf sollte sich im Zeichen der Kirchenreform in ganz Europa exponentiell
vermehren. Neben reformorientierte Klöster und Klosterverbände wie Cluny, die
anglo-normannischen Netzwerke oder die Hirsauer traten bald die neuen Regularkanonikerobservanzen,
die seit der Mitte des 11. Jahrhunderts einen intensiven Aufschwung
erlebten. ³⁸ Sie bildeten gewissermaßen einen alternativen, etwas jüngeren
Kanal des intensivierten religiösen Interesses und Reformwillens des 11. Jahrhunderts.
Stärker noch als das eher aus Tradition in lokale Pfarreistrukturen einbezogene
Benediktinertum waren sie auf die Seelsorge ausgerichtet, wurden zumeist in
Field. Legal Conflicts over Religion as Struggles over Blurring Borders, in: Journal of Religion in Europe
2, 2009, S. 1–20; Volkhard Krech, Dynamics in the History of Religions – Preliminary Considerations
on Aspects of a Research Programme, in: Dynamics in the History of Religions between Asia and Europe:
Encounters, Notions and Comparative Perspectives, hg. von dems./Marion Steinicke (Dynamics in the
History of Religions 1), Leiden 2011, S. 15 –70.
38 Vgl. zu den Regularkanonikern im Hochmittelalter (mit Verweisen auf weitere Literatur) Julian Führer,
König Ludwig VI. von Frankreich und die Kanonikerreform (Europäische Hochschulschriften,
Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 1049), Frankfurt am Main 2008, bes. S. 15 – 43; Alfred
Wendehorst/Stefan Benz, Verzeichnis der Augustiner-Chorherren und Chorfrauen, in: Jahrbuch für
fränkische Landesforschung 56, 1996, S. 1–110; Julian Führer/Stefan Weinfurter, Funktionalisierung
und Gemeinschaftsmodell. Die Kanoniker in der Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts, in: Die
Stiftskirche in Südwestdeutschland. Aufgaben und Perspektiven der Forschung, hg. von Sönke Lorenz/
Oliver Auge (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 35), Leinfelden/Echterdingen 2003, S. 107–
121; Josef Siegwart OP, Die Chorherren- und Chorfrauengemeinschaften in der deutschsprachigen
Schweiz vom 6. Jahrhundert bis 1160 (Studia Friburgensia. Neue Folge 30), Freiburg, Schweiz 1962;
Charles Dereine, Chanoines (des origines au XIII ᵉ siècle), in: Dictionnaire d’histoire et de géographie
ecclésiastiques, hg. von Roger Aubert/Alfred Baudrillart, Bd. 12, Paris 1953, Sp. 353 – 405.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften