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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Ertl, Thomas: Pragmatische Visionäre? Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0257
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256 | Thomas Ertl
eine Apologie des Franziskanertums im Speziellen und des Mendikantentums im
Allgemeinen bilden die wichtigsten Ziele des Autors. Eine geschlossene und kohärente
Sicht der damaligen Welt und Gesellschaft liefert die Chronik nicht. Sie dient
auch keinem erzieherischen Programm. ¹⁴ Zu sehr ist Salimbene mit der Aneinanderreihung
von Geschichten, Exempla und Anekdoten beschäftigt, um sich der systematischen
Gesellschaftsanalyse zu widmen. Gegen den Strich gelesen offenbart
der Text dennoch die Umrisse des Weltbildes eines Franziskaners des ausgehenden
13. Jahrhunderts.
An der Spitze der Christenheit steht aus Salimbenes Sicht der Franziskanerorden,
sowohl in moralischer als auch in intellektueller Hinsicht. ¹⁵ Der Orden ist
Teil des göttlichen Heilplans und für die Rettung der Kirche unerlässlich. In einer
Vision lässt Salimbene Jesus Christus erscheinen und aus der Ordensregel zitieren.
Die höchste theologische Autorität wird damit zur Legitimierung des Ordens
herangezogen. Zusätzlich sieht Salimbene die Vorrangstellung der Franziskaner in
Textstellen der Bibel präfiguriert. Selbst die Dominikaner, die Salimbene ansonsten
als Verbündete im Kampf gegen die alten Mönchsorden und säkulare Kleriker in
Schutz nimmt, stehen dahinter zurück. ¹⁶ Es ist für ihn kein Zufall, dass die Franziskaner
vor den Dominikanern gegründet und Franziskus vor Dominikus heiliggesprochen
worden war. Eine Folge davon ist es auch, dass sich die größten Gelehrten
der Zeit dem Franziskanerorden angeschlossen haben. Die wenigen Taugenichtse
innerhalb der Gemeinschaft bestätigen als Ausnahme die Regel. Aus der einzigartigen
Stellung der Franziskaner ergibt sich die besondere Aufgabe des Ordens: Die
Franziskaner müssen an die Stelle der ungebildeten und verweltlichten Säkularkleriker
treten und der Christenheit den Weg zum Heil weisen. Alle diese Argumente
entstammen dem üblichen Repertoire apologetischer Argumente. Sie sind Bausteine
nicht nur des franziskanischen Selbstverständnisses, sondern auch der franziskanischen
Sicht auf die Welt.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den Bettelmönchen und
dem Rest der Welt glaubt Salimbene im jeweiligen Bildungsgrad zu erkennen. ¹⁷
Zwar versucht er an keiner Stelle seiner Chronik, systematisch einen Bildungska-
14 Vgl. dagegen über den Dominikaner Vinzenz von Beauvais und sein Werk Astrik L. Gabriel, Vinzenz
von Beauvais. Ein mittelalterlicher Erzieher, Frankfurt am Main 1967.
15 Edith Pásztor, L’esperienza francescana nella »Cronica« di Salimbene, in: La presenza francescana tra
medioevo e modernità, hg. von Mario Chessa/Marco Poli, Firenze 1996, S. 85 – 92.
16 Ludovico Gatto, Domenico di Guzman e I Domenicani nella Cronaca de Salimbene, in: Ders., Dalla
parte di Salimbene. Raccolta di ricerche sulla Cronaca e i suoi personaggi (Medioevo 13), Roma 2006,
S. 355 –394.
17 Ingeborg Braisch, Eigenbild und Fremdverständnis im Duecento. Saba Malaspina und Salimbene da
Parma, 2 Bde. (Grundlagen der Italianistik 12), Frankfurt am Main/Berlin/Bern u. a. 2010, Bd. 2, S. 102–
116.
 
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