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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Melville, Gert: Innovation aus Verantwortung: Kloster und Welt im Mittelalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0354
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Innovation aus Verantwortung | 353
Amtsträger wie auch »einfache« fratres als Entscheidungsträger und Kontrolleure
zuließen.
Dieses Grundprinzip erfuhr seine konkrete organisatorische Ausgestaltung vor
allem durch den Wechsel jeweils zweier, im Jahresabstand aufeinanderfolgender
Generalkapitel von Definitoren, welche immer wieder durch die Provinzialkapitel
aus dem Kreis der fratres, der subditi – wie man sagte – neu gewählt wurden,
mit einem im dritten Jahr stattfindenden Generalkapitel der Provinzialprioren, den
prelati. Bezeichnenderweise waren beide Versammlungstypen in ihren legislativen,
administrativen und judikativen Befugnissen gleichberechtigt, sodass rechtsfortschreibende
Eingriffe in den normativen Basistext (d. h. in die constitutiones)
zwangsläufig dreier konsekutiver, also beide Typen einbeziehender Lesungen bedurften
– unabhängig davon, wann bzw. von welcher Seite die jeweilige Initiative
gestartet worden war. Jedes heutige Parlament macht sich diese dominikanische
Erfindung zunutze.
Eine solche Struktur darf allerdings nicht zu einer Fehleinschätzung der Dominikaner
führen. Die Rationalität des »methodischen Betriebs« bedeutete hier eben
nicht einen Gegensatz zum religiösen Eifer. Man sollte vielmehr von einer Spiritualität
des Pragmatischen sprechen. Dem alles überwölbenden Leitgedanken der
Seelsorge ordneten sich sogar religiöse Grundwerte einer auf sich selbst bezogenen
Heilssuche unter, wie etwa jener der Armut, dessen Verwirklichung zum Beispiel
bei den Franziskanern als die tiefstgreifende Form der individuellen Christusnachfolge
empfunden wurde, bei den Dominikanern aber – wie Humbert ausdrücklich
hervorhob – ein wirkungsvolles Mittel des performativen Predigens war. – Ich breche
hier ab.
Frauen und Männer des Mittelalters, die im Streben nach Selbstheiligung sich
in den geschlossenen Kreis einer klösterlichen Gemeinschaft begaben, trugen Verantwortung
für sich selbst ebenso wie für diese Gemeinschaft, die wiederum ihnen
gegenüber verantwortlich war. Denn nur auf diese Weise konnte das Spannungsfeld
zwischen Individualität und Gemeinschaft sowie zwischen Vervollkommnung und
Vollkommenheit ausbalanciert werden. Je erfolgreicher aber diese Ausbalancierung
gelang oder zumindest zu gelingen versprach, desto größer wurde die Verpflichtung
und Erwartung, Verantwortung für eine zu rettende Welt zu übernehmen und mit
der ganzen inneren Kraft auch nach außen zu wirken. Dazu waren Schritte erforderlich,
die innovativ in ein Ordnung stiftendes und das Verhältnis von Gemeinschaft
und Individuum anders als bisher justierendes Neuland führten. Sie waren
methodisch gelenkt von Prinzipien des Rationalen, motiviert vom religiösen Eifer
der Virtuosen des Glaubens, die im Inneren ihrer Seele Gott suchten und sich dafür
in eine klösterliche Gemeinschaft einfügten, mit der sie der Welt entsagten und
durch die sie doch auf Welt wie kaum andere zu wirken vermochten. Solche Schritte
 
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