Metadaten

Sellner, Harald [VerfasserIn]; Eberhard Karls Universität Tübingen [Grad-verleihende Institution] [Hrsg.]
Klöster zwischen Krise und correctio: monastische "Reformen" im Hochmittelalterlichen Flandern — Klöster als Innovationslabore, Band 3: Tübingen, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48960#0028
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
24 | 1. Flandern und die vita religiosa

von Brogne« Mitte des 10. Jahrhunderts verzichtete Graf Arnulf I. auf dieses Amt.23
Steven Vanderputten und Meijns konnten zeigen, dass diese »Reform« der fland-
rischen Klöster, die unter anderem auch die Einführung der Regula Benedicti bein-
haltete, eine nicht unbedeutende politische Komponente barg: Mit dieser correctio
gelang es Arnulf I., den Einfluss des Königs, der auf nahezu alle königlichen Rechte
an den Abteien verzichtete, beträchtlich zurückzudrängen, gleichzeitig aber den
eigenen Einfluss zu wahren, indem er fortan nicht mehr als Laienabt sondern als
Hochvogt über alle Klöster wachte.24 Aus den ehemals königlichen Abteien wurden
nun sogenannte »gräfliche Abteien«, die, wie am Beispiel Saint-Bertins und Sint-
Pieters deutlich wird, in einem besonderen Verhältnis zum Grafenhaus standen und
eine wichtige Stütze der gräflichen Herrschaft darstellten.25
Zu Beginn des 11. Jahrhunderts hielt eine zweite große »Reform«, die soge-
nannte »Reform Richards von Saint-Vanne«, Einzug in die Grafschaft.26 Diesmal
wurden aber lediglich die Klöster von Saint-Bertin, Saint-Amand, Saint-Vaast und
Marchiennes correctiones unterzogen, womit diese »Reform« lokal vorwiegend auf
den südlichen Teil der Grafschaft begrenzt war. In der Forschung wurde auch diese
»Reform« als politischer Schachzug des Grafen gewertet: Gerade der Süden der
Grafschaft war der Herrschaft des Grafen von Flandern zwischenzeitlich entglitten
und sollte nun, da sein Einfluss in dieser Gegend wieder gestiegen war, durch die
Kontrolle der dort gelegenen Abteien verstärkt werden.27 In dieser Zeit veränder-
te sich die flandrische Klosterlandschaft zudem durch die Umwandlung von Ge-
meinschaften: Die Abtei von Marchiennes wurde 1024 von einem Frauenkloster in
eine Mönchsgemeinschaft, das Kanonikerstift von Bergues-Saint-Winnoc 1022 in
ein Benediktinerkloster und das Stift von Denain (1024/25) in ein benediktinisches
23 S. Vanderputten, B. Meijns, La nature des >reformes< de Gerard; D. Misonne, Gerard de Brogne. Moine
et reformateur; Ders., La restauration monastique de Gerard de Brogne; Ders., Saint-Gerard de Brogne et
son oeuvre reformatrice; W. Mohr, Studien zur Klosterreform des Grafen Arnulf; A. Dierkens, Abbayes
et chapitres, S. 23-61; A. Hodüm, La reforme monastique d’Arnould.
24 S. Vanderputten, B. Meijns, Gerard de Brogne en Flandre. Zur Vogtei vgl. zusammenfassend S. Vander-
putten, Fulcard’s Pigsty, S. 93-98; zum Aufkommen der Untervogteien vgl. M. Clauss, Die Untervogtei.
25 S. Vanderputten, Crises of Cenobitism, S. 260 weist daraufhin, dass Saint-Bertin eine bedeutende diplo-
matische Rolle in den Beziehungen zwischen Flandern und England einnahm. Dazu auch Ders., Canter-
bury and Flanders. Sint-Pieters in Gent war dagegen ab dem 10. Jahrhundert Grablege der flandrischen
Grafen. Dazu G. Declecq, Blandinum rond het jaar 1000. Auch Saint-Bertin fungierte als gräfliche Grab-
lege und stand somit in Konkurrenz zu Sint-Pieters. Vgl. dazu K. H. Krüger, Sithiu/ Saint-Bertin als
Grablege.
26 Zu dieser »Reform« vgl. S. Vanderputten, Imaging Religious Leadership; Ders., B. Meijns, Realities of Re-
formist Leadership; D. C. van Meter, Count Balduin IV, Richard of Saint-Vanne; P. G. Jestice, Wayward
Monks; F. G. Hirschmann, Klosterreform und Grundherrschaft; E. Sabbe, Notes sur la reforme de
Richard de Saint-Vanne; J. Dhondt, Developpement urbain et initiative comtale, S. 153 sieht in der correc-
tio von Klöstern, die dem Grafen als Verwaltungszentren dienten, eine gute Gelegenheit, Handelszentren
zu kontrollieren.
27 S. Vanderputten, Crises of Cenobitism, S. 261.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften